Kabarettist mit Premiere in der Beethovenhalle Serdar Somuncu versteht das Böse in uns

Bonn · Jeder Mensch hat Vorurteile, lautet Serdar Somuncus Ansatz: Bei der Premiere von „H2 Universe – Die Machtergreifung“ in der Beethovenhalle zeigte sich der selbsternannte "Hassias" in Bestform.

 Kabarettist Serdar Somuncu war in der Beethovenhalle.

Kabarettist Serdar Somuncu war in der Beethovenhalle.

Foto: Thomas Kölsch

Das Fremde ist für den Menschen seit jeher ein Problem. Er versteht es nicht, dieses seltsam Unbekannte – und was er nicht versteht, das fürchtet er. Und was er fürchtet, das beginnt er zu hassen.

Diesem Mechanismus hat Serdar Somuncu schon seit Jahren den Kampf angesagt, indem er dem nebulösen Hass in einer Kunstfigur Gestalt verleiht und die emotionale Kette vom anderen Ende her aufzuknüpfen versucht.

In der Beethovenhalle hat der selbsternannte Hassias nun am vergangenen Freitag das letzte Kapitel seiner Glaubenslehre aufgeschlagen. Bei der Premiere von „H2 Universe – Die Machtergreifung“ weist er einen Weg zur Transzendenz durch die Überwindung des schwarzen Morasts aus Angst, Zweifel, Unwissenheit und Aggression, in den Somuncu selbst tief eintaucht, um sich all den Dreck wie einen Königsmantel um die Schultern zu werfen.

Ein scharfsinniger Analytiker von Trieb und Gemüt

Derart beladen macht er sich auf zu seinem eigenen Kreuzweg, den Hass verkörpernd und zugleich immer wieder von sich stoßend. Und das Publikum? Bejubelt ihn dann am lautesten, wenn er noch tiefer in den Schmutz rutscht als aus diesem heraus.

Somuncu zeigt sich in der Beethovenhalle in Bestform, als ein scharfsinniger Analytiker von Trieb und Gemüt, der die Psyche des zwischen Wahn und Sinn schwankenden Menschen mit all seinen Ängsten besser zu ergründen weiß als die meisten anderen Kabarettisten.

Er versteht das Böse in uns, auch weil er in seiner Kunstfigur genau jenes umarmt und sich zugleich davon abgestoßen fühlt. „Wenn man anfängt, den Nazi zu verstehen, dann kann man ihn auch eines Besseren belehren“, sagt er und beginnt sogleich damit, die Fremdenfeindlichkeit ins Extrem zu treiben.

Nur wer sich zu seinen Vorurteilen bekennt, kann sich über sie erheben

Jeder Mensch hat Vorurteile, lautet Somuncus Ansatz – und nur wer sich zu ihnen bekennt, kann sich über sie erheben. Auf der Bühne schimpft der 47-Jährige daher wie ein Rohrspatz gegen alles und jeden, bricht Tabus im Sekundentakt, zeigt der political correctness den Stinkefinger und wird gerade dafür vom Publikum gefeiert. Dass Somuncu ihre Reaktionen immer wieder vehement hinterfragt und zum Nachdenken über das eigene Lachen auffordert, verpufft wirkungslos.

Am deutlichsten wird dies im zweiten Teil des Abends, in dem Somuncu in die dunkelsten verbalen Tiefen eintaucht, über Mordfantasien und Pornos spricht und irgendwann das Publikum fragt, ob es mehr Porno thematisiert haben möchte oder doch lieber Politik. Die Antwort ist eindeutig. Und entlarvend. Lieber ein HB-Männchen als einen Aufklärer, lieber Sex als Diskurs.

„Das sind die geilsten Abende, wenn die Leute kotzen vor Lachen"

„Das sind die geilsten Abende, wenn die Leute kotzen vor Lachen, weil sie sich selber wiedererkennen“, kommentiert Somuncu das. Bleibt nur zu hoffen, dass aus dieser Selbsterkenntnis auch etwas erwächst, ein lautes Nein statt eines gröhlenden Ja zum Beispiel.

Dann hätte der Hassias, der hinter der Maske aus Aggressivität und Obszönität die Seele eines ganz großen Humanisten erkennen lässt, mit seinem Wut-Evangelium schon viel gewonnen.

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