Im Zeichen der Blauen Muschel So wurde der Club Blue Shell in Köln berühmt

Köln · Der Kölner Club Blue Shell feiert Jubiläum. Der Kultladen versorgt das Nachtleben der Domstadt seit 40 Jahren mit interessanten Konzerten und Partys - früher war die "Krawallbud" aber für etwas ganz anderes berüchtigt.

 Blue Shell Betreiber Rolf Kistenich.

Blue Shell Betreiber Rolf Kistenich.

Foto: Dennis Sennekamp

Köln im Jahr 1979: Die Stadt hat gerade einen Jahrhundertwinter hinter sich, bei Ford rollt der erste kölsche Fiesta vom Band, die Haie werden Deutscher Meister im Eishockey, und bei den Black Fööss kommt beim „Familijedach“ nur et Bess op de Desch. Es ist also eine ganze Menge los in der Domstadt, als in der Luxemburger Straße eine neue Kneipe aufmacht, die Taxifahrer wenig später nur noch die „Krawallbud“ nennen – das Blue Shell.

Denn was sich in den ehemaligen Räumlichkeiten der Gaststätte Haus Robertz fortan trifft, ist kein gewöhnliches Partyvolk. Es sind keine Studenten oder Junggesellen, die hier feiern, sondern harte Jungs mit Schmalztollen und Lederjacken. „Es waren immer viele aus der Rock 'n' Roll-Szene da“, erinnert sich ein Zeitzeuge, der bei der Eröffnung dabei war. „Wir kamen aus Düsseldorf, Neuss, Kaarst, Solingen und Wuppertal.“ Teddyboys, Rocker und Punks kommen sich in der im Mai des Jahres eröffneten Kneipe regelmäßig in die Quere.

Gründer war aus der Unterwelt

„Polizeieinsätze waren an der Tagesordnung“, erzählt der derzeitige Betreiber des Blue Shell. Sein Name ist Rolf Kistenich. Er ist 58 Jahre alt, gelernter Elektriker und wohnhaft in Köln. Seit 25 Jahren ist Kistenich der erste Mann hinter der Theke des Ladens, der genau an der Ecke der Hochstadenstraße und Luxemburger Straße wie eine Galionsfigur in das Nachtleben der Neustadt-Süd ragt. Initiator des Blue Shell soll eine Gestalt der Kölner Unterwelt gewesen sein, erzählt der 58-Jährige über den Gründungsmythos.

„Seit der Eröffnung gab es zig Existenzkrisen wegen des Ordnungsamts, der Polizei, einer Zwangsversteigerung, den Vermietern oder Anwohnern“, so Kistenich. „Das Shell hat sie alle überstanden.“ Kistenichs Weg ins Nachtleben begann auch mit einer Krise – im damaligem Rotlichtviertel am Hildeboldplatz.

„Mein bester Freund Friedrich Schwandt eröffnete hier in einem alten Striplokal den Gaz Club, der aber nur neun Monate später von den Behörden geschlossen wurde“, sagt er. „An den Messingstangen der Tanzflächen, an denen sich kurz vorher noch die Stripperinnen geräkelt hatten, tanzte dort die erste Generation Alternativer zu Punk, New Wave und EBM.“

Für eine Handvoll Gulden

Die Szene-Prominenz sei in der kurzen Zeit des Betriebs auch gern zu Gast gewesen. In plüschig gehaltenem Interieur hätten Bands wie die Sisters of Mercy, Depeche Mode, Einstürzende Neubauten oder Kid Creole ihre Aftershowpartys gefeiert, erzählt Kistenich. Er selbst habe währenddessen hinter den Reglern gestanden und die neusten Platten aufgelegt. „Die Singles dafür haben wir in Venlo gekauft, da gab es einen Tante-Emma-Laden, in dem man hinter ein paar Waschmaschinen für eine Hand voll Gulden Schallplatten bekam.“

Mit der Zeit entwickelte sich Kistenich nach seinen Arbeitstagen als Elektriker zu einem umtriebigen DJ im Kölner und Bonner Raum und landete so auch hinter den Plattentellern des Blue Shell. Und das hatte zu dieser Zeit mal wieder Probleme mit den Ordnungshütern. „Die haben wegen der Lautstärke die Anlage abgebaut, es durfte nur ein Plattenspieler und eine bestimmte Menge Vinyl im Laden sein, die meisten Singles und LPs musten im Keller verschwinden“, so der Clubbesitzer. „Zudem war der Besitzer gesundheitlich angeschlagen.“

Mittlerweile schreiben wir das Jahr 1994. Kistenichs Arbeitgeber baut Stellen ab, ihm wird eine Abfindung von 50.000 Mark angeboten. „Ich dachte mir, dass ich es bereuen würde, wenn ich das Geld nicht nehme“, sagt Rolf Kistenich. „Damit bin ich schließlich in das Blue Shell eingestiegen.“

Investiert wurde der volle Betrag in den Schallschutz des Clubs. Der ganze Laden sei in Watte gepackt, formuliert es der Betreiber. „100.000 Mark hat das gekostet.“ Im Schein der blauen Muschel hat Kistenich in den vergangenen 25 Jahren viel erlebt, von dem er gern erzählt.

Absage für Guns N' Roses

Die Band Blur habe 1990 im Blue Shell ihren ersten Deutschlandauftritt überhaupt gespielt, die Punks von Die Ärzte hätten sich bei ihm mit ihrer gesamten Crew beim Billard entspannt, und zwei Wochen vor seinem Tod habe Joe Strummer von The Clash im Blue Shell mit Stammgästen über Punk, die Beatles und Goethe philosophiert. Eine Geschichte, die Kistenich häufig erzählen muss, dreht sich aber um eine Band, mit der er nie ganz warm geworden ist: Guns N' Roses. „Gitarrist Slash und Bassist Duff McKagan wollten nach einigen Drinks ein paar Liedchen akustisch spielen“, so der 58-Jährige.

Die Rockstars bekamen allerdings eine Absage vom Chef. Die Begründung: „Passt jetzt nicht.“ Der Laden sei voll gewesen, die Stimmung gut, erzählt Kistenich, die beiden kannte er nicht. „Sie sahen aber schon irgendwie besonders aus.“

Solche oder ähnliche Geschichten wird wahrscheinlich jedes Szenelokal der Welt zu einem 40-Jährigen erzählen können, meint Kistenich und zählt noch ein paar der Promis auf, die in der Vergangenheit im Blue Shell zu Gast waren: Hella von Sinnen, Bernd Begemann, Rocco Klein, Jürgen Zeltinger, Heiner Lauterbach oder Marc E. Smith. Frank Zappa sei dagegen nach seinem Konzert in der Sporthalle an der Tür abgewiesen worden, weil es zu voll gewesen sei, so Kistenich. „Aber das war vor meiner Zeit – 1980.“

Das Blue Shell heute

Heute ist das Blue Shell vor allem auf Live-Musik-Shows jeglicher Art spezialisiert, bietet aber auch ein abwechslungsreiches Programm aus Partys, Lesungen oder Poetry Slams an. Lokale, nationale und internationale Interpreten spielten im Blue Shell allein im vergangenen Jahr an mehr als 300 Abenden live vor Publikum. „Die Häutung von der Kult-Kneipe zum Club vollzog sich in den letzten Jahren sozusagen von selbst“, sagt er.

„Dabei haben wir mit dem Stompin' Saturday, eine Veranstaltung für Rock 'n' Roll-Fans und gehen jeden ersten Samstag zurück zu den Wurzeln.“ Bei all dem Trubel in den vergangenen Jahrzehnten, ein paar kleineren Umbauten und Generationen von Partylöwen sei aber eines immer gleich geblieben: „Die Farbe“, freut sich Kistenich lautstark. „RAL 5010, Enzianblau!“

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