Euro Theater Central Starkes Solo von Philip Schlomm bei "Ein Kind unserer Zeit"

Bonn · Stefan Zweig nannte Horváths letzten Roman "eines der wichtigsten deutschen Dokumente unseres Zeitalters". Das Werk erschien 1938, kurz nach dem Tod des 36-jährigen Autors, und beschreibt mit beklemmender Hellsicht, wie sich der Faschismus ausbreitet im Kopf eines Menschen. Im Euro Theater Central spielt Philip Schlomm den großen Monolog "Ein Kind unserer Zeit".

 Moral ist für Schwächlinge: Philip Schlomm.

Moral ist für Schwächlinge: Philip Schlomm.

Foto: Lilian Szokody

"Jetzt hat mein Dasein plötzlich wieder Sinn!", bekennt der anonyme junge Soldat. Die demütigende Arbeitslosigkeit und Vereinzelung ist vorbei. In Reih und Glied zu stehen, macht ihn stolz. Das Vaterland braucht seinen Dienst, alles Fremde ist feindlich und nichts wert angesichts des starken und mächtigen Reiches, das ein leuchtendes Vorbild für die ganze Welt werden soll.

Im Euro Theater Central spielt Philip Schlomm den großen Monolog "Ein Kind unserer Zeit". Mit weißem Unterhemd und Turnschuhen ist er auch ein Kind dieser Zeit. Fast beiläufig schleichen sich die monströsen nationalistischen Phrasen in seinen Redefluss ein. Moral ist für Schwächlinge. Handeln ist nötig. Ohne Gewalt gibt es kein Recht.

Das in Horváths Text nicht genannte Land wird in der Inszenierung von Bastian Tebarth durch das Schild "Exit Deutschland" kenntlich. Die Zuschauer sitzen zu beiden Seiten der schmalen Bühne, auf der Schlomm die gespenstisch schlichte Banalität des Bösen präsentiert. Der Überfall auf ein schwächeres Land erscheint ihm als kühnes Abenteuerspiel, Mord und Verwüstung betrachtet er völlig ungerührt. Bis sein verehrter Hauptmann angewidert von den Kriegsverbrechen in den sicheren Tod geht und der kleine Soldat beim Rettungsversuch schwer verletzt wird.

Die Regie findet eindrückliche Bilder für den Vernichtungswahn. Ein aggressiv zerschnittener Apfel wird zum Zeichen für die kalte Lust - an den "Weibern" und am männlichen Handwerk des Tötens. Aus Papier bastelt sich der Soldat eine kleine Pistole, während er die Wiederherstellung seiner Kriegstauglichkeit herbei sehnt. Sorgfältig verstaut er seine gesamte alte Kleidung in Plastikbeuteln und steht splitternackt da, bevor er sich fein macht für den Besuch bei der Witwe seines Hauptmanns. Ausgerechnet in deren Armen wird sein fast schon geheilter Arm für immer unbrauchbar.

Einige Textpassagen werden elektronisch verfremdet zugespielt, wenn der Schauspieler sein iPod unter dem von der Decke hängenden Mikro platziert und sich selbst wie einem Fremden zuhört. Dialogfähig ist dieser an Leib und Seele Versehrte nicht mehr. Das Mädchen an der Kasse des "verwunschenen Schlosses" auf dem Rummelplatz wagte er nicht anzusprechen. Den Buchhalter, der die junge Frau nach einer Abtreibung dem Gefängnis überließ, bringt er um. Ein willkürlicher Mord, so sinnlos wie alles, was der desillusionierte Soldat für eine höhere Ordnung hielt. Einen Arm hat er geopfert für den "Volkskörper", der ihn ausspie in die Kälte der Straße. Heiße braune Brühe schäumt aus seinem Becher, während er erfriert.

Dieses "Kind unserer Zeit" ist mit seiner Wut auf das alte bürgerliche Spießertum ein barbarischer Spießer der Zukunft. Wie fruchtbar der Schoß noch ist, zeigen die aktuellen NSU-Prozesse. Im Euro Theater gerinnt Horváths Erzählung in einer knappen Stunde nicht zum platten Lehrstück. Das liegt vor allem an dem exzellenten Philip Schlomm, der einen zeitlosen Alltagstypen zeigt, aus dem unversehens ein Amokläufer werden kann. Angemessen erschütterter Beifall bei der ausverkauften Premiere.

Nächste Vorstellungen am 18., 19. 28. und 29.Mai jeweils um 20 Uhr. Karten: Tel. 0228-652951, Infos unter www.eurotheater.de

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