Archaische Wucht Stefan Bachmanns Kölner Erfolg mit fast sechs Stunden "Genesis"

KÖLN · Fehlen eigentlich nur Colt und Patronengurt, denn ansonsten sieht Gott mit Cowboyhut und Ledermantel verdächtig nach Django aus. Und wenn er später mit seinen Erzengeln in Showdown-Pose auf dem 47-Tonnen-Lehmberg steht, denkt man an drei glorreiche Halunken am Hügel der blutigen Stiefel.

 Showdown auf dem Berg: Szene mit (von links) Simon Kirsch, Michael Neuenschwander, Nikolaus Benda und Gerrit Jansen.

Showdown auf dem Berg: Szene mit (von links) Simon Kirsch, Michael Neuenschwander, Nikolaus Benda und Gerrit Jansen.

Foto: Aurin

Kein Zweifel, Kölns Schauspielchef Stefan Bachmann mag (Italo-)Western, ohne indessen in "Genesis" das erste Buch Moses und Fundament dreier Weltreligionen zur Pferdeoper umzudichten. Denn Textreue ist Trumpf an diesem knapp sechsstündigen Abend, in dessen zweiter Pause eine stärkende Gemüsesuppe serviert wird.

Anfangs bleibt Simeon Meiers Bühne im Depot 1 wüst und leer. Gott schlendert lässig zum Lesepult, und das erste Wunder der Aufführung geschieht: Michael Neuenschwander spannt allein mit seiner Stimme jene Fantasieräume auf, in denen nun Berge und Meere, Pflanzen, Tiere und Menschen geschaffen sowie aus dem Garten Eden vertrieben werden.

Kein Paradieskitsch, kein Bild von Kains Brudermord - erst Sintflut und Noahs Arche werden mit einem Papierschiffchen in einer Pfütze symbolisiert. Weiter kann man sich vom Kolossalschwulst der Bibelschinken kaum entfernen. Dieses bewusst karge Theater ist so reich an Zwischentönen, dass die ersten szenischen Gehversuche staksig ausfallen: Stammvater Abraham (Niklas Kohrt) und Sarah (Annika Schilling) im Kampf gegen ihre Kinderlosigkeit, das wirkt fast wie Oberammergau für Arme.

Doch die blutige Beschneidung setzt das erste starke Bild, dem viele folgen. Langsam baut die Inszenierung am gewaltigen Berg archaische Wucht auf. Ein Höhepunkt: die drohende Opferung Isaaks (Bachmanns kleiner Sohn Bela), die der Regisseur nach Hitchcock-Manier kurz vor dem entscheidenden Moment einfriert und das Publikum mit einem "Cliffhanger" in die Pause schickt.

Auch viele andere Dramen schält Bachmann markant heraus: etwa Jakobs Betrug an Isaak als Schattenspiel, die Vernichtung Sodoms und Gomorrhas als durchrüttelnde Klang-Katastrophe. Umgekehrt folgt er der biblischen Geschichte auch da, wo sich diese in Wiederholungen erschöpft oder im Geäst der Stammbäume von Kanaanitern, Hethitern oder Aramäern verklettert. Wobei nicht jeder die Sippennamen derart furios ins Parkett spuckt wie Benjamin Höppners Esau.

Bachmann maßt sich bei der Besteigung des Textgebirges keine Wertung an, beugt sich gewissermaßen Gott als Regisseur des großen Welt-Theaters. Doch bei allem Respekt nimmt er sich unfromme Freiheiten: Simon Kirsch darf Jakobs Kinderreichtum köstlich parodieren, Stefko Hanushevsky fetzt als Knecht eine virtuose Panflöten-Karaoke hin, und Marek Harloff steht als Josef Superstar zu Robbie Williams' "Feel" in poppiger Glitzerkluft auf der Pyramide.

In diesem dritten Teil atmet die vor einem Jahr in Zürich uraufgeführte und für Köln verfeinerte Inszenierung am freiesten. Wenn der oft magisch illuminierte Berg blutet, hat sich der anfangs eifersüchtig-jähzornige Gott längst resigniert aus dem Ringen mit seinen Geschöpfen zurückgezogen. So kann Neuenschwander jetzt, ebenso brillant, den greisen Jakob verkörpern. Der muss den Kampf von Josef mit seinen Desperado-Brüdern mitansehen, der erst in einem letzten Abendmahl geschlichtet wird. Mit Josefs Tod endet "Genesis". Sehr starker, einhelliger Beifall.

Info: 5¾ Stunden mit zwei Pausen. Termine: 16. 11., 18 Uhr, 17. 11., 17 Uhr,13./14. 12., 18 Uhr, 15. 12., 17 Uhr. Karten bei Bonnticket oder in den GA-Geschäftsstellen

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