Literaturhaus Köln Steinunn Sigurdardottir stellt ihren Roman "Jojo" vor

KÖLN · Die Liebe und das Geheimnis sind die großen Themen der isländischen Schriftstellerin Steinunn Sigurdardottir. In Romanen wie "Die Liebe der Fische" oder "Der gute Liebhaber" hat sie diese Themen mit sprachlicher Meisterschaft, lakonischem Witz und Gefühl für die Zwischentöne menschlicher Kommunikation grandios durchdekliniert.

 Die isländische Schriftstellerin Steinunn Sigurdardottir.

Die isländische Schriftstellerin Steinunn Sigurdardottir.

Foto: dpa

Auch in "Jojo", ihrem neuen Buch, schlagen die Schatten der Vergangenheit Wellen in die Gegenwart, als der Berliner Radiologe Martin Montag auf dem Röntgenbild eines neuen Patienten einen seltsam geformten Tumor entdeckt, der in ihm traumatische Erinnerung an ein verdrängtes Erlebnis aus der Kindheit hochspült.

Schnell begreifen wir: Das Leben dieses hochgelobten Krebsspezialisten, der morgens um halb sechs am Landwehrkanal joggt, sich zweimal täglich mit der Wurzelbürste schrubbt und auch sonst die Selbstbeherrschung in Person ist, steht auf tönernen Füßen. Doch warum das so ist, dafür lässt sich die Autorin Zeit, aber nur ein wenig Zeit, denn dieser kurze Roman hat fast das Format einer Novelle.

Steinunn, wie ihre Fans sie zu nennen pflegen, erzählt von Martins Seelenfreund, dem französischen Edel-Clochard Martinetti, der als Alter Ego seine Sehnsüchte nach der Leichtigkeit des Seins verkörpert. Sie erzählt von Petra, Martins perfekter Ehefrau, die er dann am meisten liebt, wenn sie tief schläft.

Die er mit Geschenken und Aufmerksamkeiten überhäuft, um zu vertuschen, dass er die Süße ihrer Küsse nicht spürt. Sie erzählt von Martins Suche nach dem Mann mit dem roten Jojo im Körper, der ihn an jenen Tag erinnert, als der kleine Junge aus der Schule kam und durch den Park mit dem Wasserfall ging und auf den Mann mit dem Jojo traf.

Sigurdardottir lässt die Gedanken ihrer Protagonisten fließen in ihrer unnachahmlichen Art, die inneren Monologe und die leichten, wirklichkeitsnahen Dialoge, die keinen falschen Ton haben. Sie kann die Gedanken an den Tod zu einer poetischen Vision machen, die Verliebtheit eines Franzosen aufs Korn nehmen und medizinische Forschung reflektieren - von einer Seite auf die nächste, ansatzlos, scheinbar mühelos.

Dass diese literarische Fingerübung dennoch am Ende einen kleinen Stich von Enttäuschung versetzt, liegt an einer gewissen Vorausschaubarkeit der Ereignisse - weshalb hier auch mehr verraten werden kann als normalerweise korrekt wäre.

Nichts gegen das verstörende Thema, aber man hat schon zu viele Missbrauchsgeschichten gelesen, um nicht früh die Zeichen, Andeutungen und Symbole zu erkennen, die auf das Geheimnis des Protagonisten hinweisen. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn nicht die Fallhöhe Martins Behauptung bliebe. So erweist sich sein "anderer Martin" und Freund als der wahre Held dieses Buchs - und versöhnt uns in einem furiosen Schlusskapitel.

Die Autorin spricht am Mittwoch, 20 Uhr, mit Wolfgang Schiffer im Literaturhaus Köln, Schönhauser Straße 8. Steinunn Sigurdardottir: Jojo. Deutsch von Coletta Bürling, Rowohlt, 187 S., 19,95 Euro.

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