Wohnst du noch, oder lebst du schon? Tag der Architektur 2017 in NRW

Bonn/Rhein-Sieg-Kreis · Am Wochenende lädt die Architektenkammer Nordrhein Westfalen zum 22. Tag der Architektur ein. Insgesamt öffnen 326 Privathäuser, Hochschulen Kirchen, Theater, Gartenanlagen und Bürogebäude ihre Türen.

Von seinem Atelierfenster blickte August Macke auf die gegenüberliegende Häuserzeile und das leere Eckgrundstück am Fuße der Viktoriabrücke. Diese Ansicht muss ihn so fasziniert haben, dass er die Per-spektive in einem Gemälde festhielt. Jahrzehntelang blieb genau diese Ansicht bestehen und die unförmige Freifläche unbebaut.

Bis sich Bauherr Christof Domrowe und Architekt Jürgen Flohre des Grundstücks annahmen und eine Lösung für die schmale Fläche ausarbeiteten. „Wie hätte Macke ein Haus gestaltet?“, fragte sich Flohre, Mitbegründer des Kölner Architekturbüros BFM-Architekten zu Beginn der Planungsphase. Heute steht an der Ecke Hochstadenring/Bornheimer Straße ein modernes Mehrfamilienhaus mit 25 Wohnungen.

Zum Vergleich hält Flohre Mackes gemalte Ansicht vor das fertige Wohnhaus: „Das war die Vision im Hinterkopf.“ Fast wie ein kubistisches Kunstwerk schmiegt sich das Gebäude am Fuße der Viktoriabrücke an die Straßenführung. Einzelne Erker mit einer großzügigen Glasfront stechen aus der gewölbten Hausfassade hervor. In einem zarten Ockerton setzen sich die Erker farblich von der restlichen Häuserfront ab. Eine Glasscheibe über dem Eingang bricht die Außenfront auf und teilt das Haus optisch in zwei Einheiten.

Der Tag der Architektur in Bonn
16 Bilder

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Der Neubau in der Bonner Nordstadt ist eines von insgesamt 326 Objekten in Nordrhein-Westfalen, die am kommenden Wochenende anlässlich des Tags der Architektur ihre Türen für Besucher öffnen. Von Aachen bis Xanten beteiligen sich 140 Städte und Gemeinde an der Aktion. Zu sehen sind neben Kirchen und öffentlichen Bauten auch Privathäuser, Bürogebäude und Universitäten, die in den vergangen fünf Jahren neu entstanden oder saniert worden sind. Für private und öffentliche Gartenanlagen und Projekte aus dem Bereich der Stadtplanung wird die Entstehungszeit etwas weiter gefasst – auf die vergangenen acht Jahre.

Architektur soll zur Lebensqualität beitragen

Zu den prominentesten Projekten zählen die Zentralmoschee der Ditib-Gemeinde in Köln-Ehrenfeld von Paul Böhm, das neue Hörsaalgebäude „C.A.R.L.“ an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen von schmidt hammer lassen architects aus dem dänischen Aarhus sowie der Bürokomplex „Clara und Robert“ in Düsseldorf, den die Düsseldorfer Architekten slapa oberholz pszczulny sop architekten planten. Bereits zum 22. Mal findet das Architekturwochenende statt und richtet sich sowohl an Architekturfans und Fachstudenten als auch an Interessierte, die einen Neubau oder Umbau planen. Architekten, Stadtplaner und Bauherrn sowie Landschafts- und Innenarchitekten stellen am fertigen Objekt ihre Ideen und Konzepte vor, berichten über Erfahrungen und stellen sich Detailfragen der Besucher.

In diesem Jahr steht der bundesweite Tag unter dem Überbegriff „Architektur schafft Lebensqualität“. „Wir wollen zeigen, dass gute Architektur die Lebensqualität steigern kann“, sagt Christof Rose, Pressesprecher der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen. Längst werden nicht mehr nur Privathäuser nach dieser Prämisse gebaut, auch Bürogebäude, Schulen und Universitäten werden attraktiver und kreativer gestaltet. Das Ziel: Die Besucher sollen sich gerne in den Räumen aufhalten – lernen, arbeiten, leben. Frei nach dem Spruch, mit dem das schwedische Möbelhaus Ikea vor ein paar Jahren warb: Wohnst du noch, oder lebst du schon?

Statt eines imposanten Hochhauses als Firmensitz setzen Unternehmen und Hochschulen zunehmend auf eine Campusstruktur: mehrere flache Gebäuderiegel umgeben von Grünflächen mit Sitzgelegenheiten für Mittagspausen und Arbeitseinheiten unter freiem Himmel. Fließende Übergänge zwischen Innen- und Außenbereichen zu schaffen sei ebenfalls ein Trend, der sich nicht nur in Privathäusern wiederfände, so Rose. Glaselemente und Schiebetüren sollen diesen Effekt erzielen. Und auch der Garten rückt in den Fokus. Vermehrt würde eine anspruchsvollere und umfangreiche Planung in die Gärten investiert werden: Wasserflächen und Wasserläufe, gezielte Bepflanzung und Staffelung.

Im Inneren erwartet den Besucher Street Art Kunst

Mit den Ansprüchen der zukünftigen Bewohner, Fragen der Lebensqualität und der Eingliederung des Neubaus in die bestehende Häuserzeile haben sich auch Flohre und Domrowe auseinandergesetzt. Der Anspruch an das Appartmenthaus war schnell definiert: Ein modernes Wohngebäude im Stadtzentrum sollte es werden – aber zu einem bezahlbaren Budget. 2012 begannen Domrowe und Flohre mit der Planung des Mehrfamilienhauses im Macke-Viertel. Das expressionistisch geprägte Werk des Bonner Malers diente ihnen dabei als Inspirationsquelle für die individuelle Erkerfassade, die sich über rund 40 Meter entlang der Straßenseite erstreckt.

Von außen wirkt der Neubau im Macke-Viertel wie ein hochmodernes Wohnhaus, vielleicht auch wie ein futuristisches Bürogebäude. Im Inneren erleben Besucher eine Überraschung. Wer hier ein elegant-schlichtes Treppenhaus erwartet – irrt sich. „Dieses Haus bekommt man von außen kaum in den Kopf rein“, sagt Flohre. Im offenen Treppenhaus erwartet den Besucher Street Art à la Berlin oder London. Wände und Decken sind bewusst unverputzt belassen worden. Bunte Neonlichterketten beleuchten den Aufzugsschacht.

Auf dem grobporigen Rohbeton haben fünf Bonner Künstler ihre Werke hinterlassen. So hat ein Künstler mit schwarzer Farbe einen jugendlichen Beethoven – mit Skateboard auf den Schultern und einem „I love BN“-Shirt – auf die Wand am Treppenaufgang gesprayt. Über den Briefkästen hängen Werke der vergangenen Ausgabe der Cheap-Art in Bonn. Auf den Briefkästen kleben Sticker mit Motiven des Künstlers „1zwo3“. „Das sind Souvenirsammler“, sagt Domrowe und deutet auf fehlende Aufkleber.

Mittlerweile pappt nicht mehr auf jedem der 24 Briekästen ein Exemplar. Regelmäßig müsse er die Motive nachkleben. Eine Etage weiter oben ist eine lebensgroße Giraffe neben den Treppenaufgang aufgemalt, deren Flecken sich über die Wand verteilen und das Tier organisch mit der Wand zu verschmelzen scheinen. Auf einigen Wänden finden sich die Arbeitsnotizen der Handwerker. „Das ist kein Haus von der Stange“, so Domrowe. Individualität lautet das Stichwort für das Mehrfamilienhaus. Jede der insgesamt 25 Wohnungen ist anders geschnitten – sie reichen von 28 bis 90 Quadratmeter. Ein Grundriss hat die Form eines Tortenstücks. „Interessante Grundrisse kosten kein Geld, sondern sind eine Frage der Kreativität“, so der Architekt.

Ein Trend, der sich immer häufiger beobachten lässt. „Die Vielfalt der Varianten nimmt zu“, sagt auch Rose von der Architektenkammer NRW. Es entstehen Wohnlösungen, um mehreren Generationen ein gemeinsames Zuhause bieten zu können – etwa durch Einliegerwohnungen. Auf der anderen Seite werden auch vermehrt individuelle Wohnungen gebaut – vor allem für Singles in Städten. Ebenso gibt es Bemühungen, bereits bestehende Gebäude auf originelle und unkonventionelle Weise zu nutzen. In Köln-Ehrenfeld wurde eine ehemalige Pferdemetzgerei in ein Architekturbüro umgewandelt. Keine Seltenheit in dem Kölner Stadtteil: Viele Ladenlokale wurden so in Büroräume für Kreativschaffende umfunktioniert.

Auch die Neubauwohnungen am Hochstadenring zielen auf eine flexible Nutzung ab. Aus einer Wohnung gehen zwei abschließbare einzelne Unterwohnungen ab – mit eigener Küche, Bad und Wohnbereich. Die Mieter teilen sich lediglich einen quadratischen Flurraum mit einem großen Einbauschrank. Werden die Türen entfernt, wird daraus ein Zuhause für ein Pärchen oder eine kleine Familie. In den Nebenflügeln des Hauses wurden bewusst Trockenbauwände verbaut, um das Haus an die Bedürfnisse anpassen zu können.

Mit der Planung der Tiefgarage haben Flohre und Domrowe auf ein weiteres, urbanes Phänomen reagiert. „Die junge Generation ist nicht mehr so interessiert daran, ein eigenes Auto zu haben“, so Flohre. Vier Autos eines Car-Sharing-Anbieters stehen im Keller des Wohnhauses, die die Mieter zu vergünstigten Konditionen nutzen können. Statt der Pkw-Parkplätze ist die Nachfrage nach Fahrradstellplätzen groß: „Die Fahrradstellplätze werden eher eng“, sagt Domrowe. Und noch eine Besonderheit findet sich im Untergeschoss. Ein Internetrouter. Jede Wohnung verfügt über eine Verkabelung zum WLan. Für Domrowe ein Teil der Grundversorgung wie Strom und Wasser.

Nach 15 Monaten Bauzeit wurde das Objekt im August 2015 fertiggestellt – soll aber wandlungsfähig bleiben. 1,5-Zimmerwohnungen sollen dem Bewohner mehr Freiheiten bei der Einrichtung und Aufteilung der Wohnbereiche bieten. Gerade das macht für Domrowe Lebensqualität aus: „Für mich ist Wohnqualität, sich selbst kreativ mit der Wohnung auseinanderzusetzen.“ Im Flurbereich sollen sich daher weitere Künstler verewigen. Für den Tag der Architektur ist ein Kunstprojekt geplant.

Das Haus inmitten der Natur als Rückzugsort

Lebensqualität – das bedeutet für Christine Kiel und Christoph Kirschbaum vor allem Naturverbundenheit. Ihr neugebautes Einfamilienhaus liegt, umgeben von alten Obstbäumen, am Fuße des Naturparks Siebengebirge in Königswinter-Heisterbacherrott. Auch sie öffnen ihr Zuhause am nächsten Wochenende für interessierte Besucher. Das Haus bietet zwei Häuser in einem: Auf dem Betonsockel, in dem öffentliche Räume wie Wohnzimmer und Küche sowie Einliegerwohnung untergebracht sind, thront ein Holzhäuschen. Darin befinden sich die Privaträume – Schlafzimmer und Bad. „Das Besondere ist die Dachterrasse“, sagt Architekt Rainer Grotegut, Gründer des Bonner Architekturbüros Grotegut Architekten. Das Obergeschoss wird komplett von der Dachterrasse umgeben – mit einem Rundumblick auf das Siebengebirge.

„Den Ölberg habe ich schon von meinem Kinderzimmerfenster aus gesehen. Daher war der Blick ein Muss“, erzählt Kirschbaum. Jetzt kann der 56-Jährige vom Schlafzimmer direkt auf den höchsten Berg des Siebengebirges blicken. Auf der anderen Seite reicht die Aussicht bis zum Michaelsberg in Siegburg. Und bei gutem Wetter lassen sich sogar die Kirchturmspitzen des Kölner Doms am Horizont erspähen. Der Aus- und Durchblick ist bei diesem Entwurf stilgebend und folgt dem Trend. Große Glasfronten lenken den Blick immer wieder hinaus in die Natur. Auch im Erdgeschoss fügt sich an der Ostseite eine überdachte und durch eine Glaswand geschützte Terrasse an. „Die Terrasse ist unser Wohnzimmer“, sagt Kirschbaum. „Die Lounge kann man auch bei Regen nutzen.“ Diese Übergangszone zeichnet sich auch durch den Bodenbelag aus. Statt eines Steinbodens ist auf der Terrasse ein Holzboden verlegt.

Die Nähe zur Natur spiegelt sich auch in der energetischen Planung. „Wir versuchen, Modernität mit den natürlichen Dingen zu verbinden“, so Grotegut, der in 1980er Jahren einen biologischen Baumarkt in Bonn mitbegründete. Klimaschutz und Komfort müssen sich dabei nicht ausschließen. So verfügt das 205 Quadratmeter große Haus über eine Luft-Wasser-Wärmepumpe und eine thermische Solaranlage. Im Winter befeuert Kirschbaum den Kaminofen mit Holz aus seinem eigenen Wald. Die gesamte Anlage fängt das Regenwasser für die Bewässerung der Beete und Rasenfläche auf – Nebeneffekt: die Niederschlagsgebühren entfallen. Nach einer zehnmonatigen Bauzeit war das Haus im August 2016 schließlich bezugsfertig. „Bis auf einen Lichtschalter würden wir alles genauso bauen und planen“, sagt Kiel.

Der Katalog zum Tag der Architektur mit allen Infos zu den Objekten kann kostenlos unter 02 11 49 67 12 oder per E-Mail an tda@aknw.de bestellt werden. Die Infos gibt es auch in Form einer kostenfreien App „Tag der Architektur“ oder unter www.aknw.de.

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