Tanz im Ballsaal: Gelungene "CocoonDance"-Preview

Erster Blick aufs neue Stück - Inszenierung von Rafale Giovanola

Bonn. "Sie betrachten den unerklärlichen Ringkampf zweier Menschen. Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über die Motive dieses Kampfes, sondern beteiligen Sie sich an den menschlichen Einsätzen, beurteilen Sie unparteiisch die Kampfform der Gegner und lenken Sie ihr Interesse auf das Finish."

Der junge Brecht schreibt das im Vorwort zu seinem Drama "Im Dickicht der Städte" (1923), von dem die Choreographin Rafale Giovanola sich inspirieren ließ zu ihrem neuen Stück "Dating your enemy". Seit Pina Bausch regelmäßig ihre neuen Produktionen erst mal noch ohne Titel und als "work in progress" dem Publikum präsentiert, sind die Previews im Tanztheater in Mode gekommen.

Zur Besichtigung des aktuellen Zustands ihres Männerduells hatte die Bonner Compagnie "CocoonDance" in den gut besuchten Ballsaal eingeladen. Was zu sehen war, lässt eine höchst spannende fertige Premiere im November in Krefeld erwarten.

Die Tänzer Joris Camelin und Martin Ithanamouss, mit dem CocoonDance schon mehrfach zusammengearbeitet hat, entwickeln ein sehr komplexes und hoch konzentriertes Bewegungsvokabular zwischen Brutalität und Zärtlichkeit, Demutsgesten und Destruktion, Angst und Triumph. Sie stehen Rücken an Rücken und vermeiden den Blick auf den Freundfeind, laufen minutenlang im Kreis, klammern sich dabei aneinander, belauern sich, überholen sich fast unmerklich gegenseitig, testen die Durchhaltekraft des Gegners.

Sie reißen sich gegenseitig die T-Shirts vom Leib und vermischen dabei spielerische Rituale mit archaischer Kampflust. Sie sind nicht Brechts Shlink und Garga, vermitteln aber viel von der Faszination dessen, was Brecht in Bezug auf den Boxsport als "eine der großen mythischen Vergnügungen der Riesenstädte jenseits des großen Teiches" bezeichnete.

Sie stellen das jedoch mit einem Blick auf die gegenwärtige urbane Gewalt quasi vom Kopf auf die Füße: Gegen Ende legt einer immer wieder seinen Kopf auf den Fuß seines Kampfgefährten und lässt sich tragen von dessen Schritten, was natürlich auch die bekannten Bilder aus der amerikanischen Folterzone evoziert.

Von einem ständig vor- und zurückgespulten Band tönen wie von einem Anrufbeantworter die Relikte eines Familienzerfalls. Im Hintergrund werden auf Stoffstreifen Bilder von bürgerlichen Wohn-Interieurs projiziert. Das wird nicht so bleiben, denn die Videos von Ralph Goertz (2006 Regisseur von "Fahrenheit 451" in der Bundeskunsthalle) sind noch in Arbeit.

Mit seiner neuen intermedialen Produktion reist CocoonDance im Oktober nach Valparaiso (Chile); die echte Bonner Premiere ist für April 2008 geplant. Auf dem Ballsaal-Tanzspielplan steht vor der Winterpause noch am 21. und 22. September der zweiteilige Abend "Laura trapped / Patrick meets Isabelle".

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