Kölner Acht-Brücken-Festival Treibgut im Klangstrom

Als die Wiener Philharmoniker vor ein paar Jahren bei der österreichischen Komponistin Olga Neuwirth anklopften, um ein Orchesterwerk zu Gustav Mahlers hundertstem Todestag im Jahre 2010 zu erbitten, sagte sie noch wegen anderer Aufträge ab.

 Dirigent Daniel Harding und Tenor Klaus Florian Vogt proben mit den Wiener Philharmonikern.

Dirigent Daniel Harding und Tenor Klaus Florian Vogt proben mit den Wiener Philharmonikern.

Foto: Thomas Brill

Aber die Idee blieb sehr lebendig in ihrem Kopf, und die Philharmoniker kamen doch noch zu ihrer Uraufführung. Das gemeinsam von KölnMusik, dem Wiener Konzerthaus, den Wiener Festwochen und der New Yorker Carnegie Hall in Auftrag gegebene Werk war jetzt beim Kölner Acht-Brücken-Festival in der Philharmonie erstmals zu hören.

"Masaot / Clocks With No Hands" lautet der Titel der Komposition, die Mahler sozusagen ins 21. Jahrhundert holt. Inhaltlich verarbeitet die 46-jährige Komponistin in ihrem Werk einen Traum, der von der Begegnung mit ihrem Großvater handelte, den sie im wirklichen Leben jedoch nie kennengelernt hat. Im Traum spielte er ihr Lieder vor, auf einem "alten, krachenden Tonbandgerät". Wenn sie diese Lieder in ihrer Komposition zitiert, die gleichsam wie geträumte Musik im Strom des von einem riesigen Orchester produzierten Klanges auftauchen, wie Treibgut kurz sichtbar werden und wieder verschwinden, ist das eine Verfahrensweise, die der Mahlers nicht unähnlich ist. Auch er verwendete Zitate, ließ schon in seiner ersten Sinfonie böhmische Musikanten aufspielen und den "Bruder Jakob"-Kanon nach Moll gewendet vortragen.

An den Beginn von Mahlers erster Sinfonie erinnert auch der sphärisch-leise anhebende Flageolett-Klang der Streicher, nur dass er sich hier zum Cluster verdichtet. Die Wiener Philharmoniker spielten unter der Leitung von Daniel Harding sehr konzentriert. Vor allem in den musikalischen Traumbruchstücken hatten die Musiker Gelegenheit, ihr Temperament auszuleben, wenn die Blechbläser zur Dorfkirmes aufspielen oder der Anführer der zweiten Geigen virtuos und mitreißend zum Tanz bittet.

Aber das Stück ist auch eine Reflexion über die Zeit, die wie in Ligetis Poème Symphonique für 100 Metronome hörbar tickt. Für das etwas mehr als 20-minütige Stück gab es vom Publikum in der gut besuchten Philharmonie freundlichen Applaus.

Als Gegenstück hatten die Philharmoniker nicht Mahlers Erste, aber "Lied von der Erde" dabei. Die Vokalpartien wurden von dem Tenor Klaus Florian Vogt und dem Bariton Matthias Goerne vorgetragen. Vogts Tenor schmeichelt diesen sinfonischen Liedern, er versteht sich darauf, das Schwierige wunderbar leicht klingen zu lassen, großartig etwa im "Der Trunkene im Frühling".

Auch Goernes Bariton ist von eher heller Färbung, was den Liedern auch in ihren abgedunkelten Momenten gut bekommt. Der "Abschied" war herzergreifend. Aber nicht nur wegen des Gesangs, sondern auch wegen der Gestaltung dieses transzendierenden Schlusses durch die Wiener Philharmoniker. Das groß besetzte Orchester wurde von Harding sensibel durch die Partitur geführt, der Klang war perfekt ausbalanciert, und die Soloflöte spielte zum Weinen schön. Der Beifall war laut und lang.

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