Albert Camus Trotzig unter gottlosem Himmel

BONN · Heute ist Mama gestorben. Vielleicht auch gestern, ich weiß es nicht." So lakonisch und gefühlskalt beginnt Albert Camus' Roman "Der Fremde". Der Held Meursault wird auch am Grab nicht weinen, seine Geliebte vielleicht heiraten oder auch nicht und irgendwann am Strand von Algier einen Araber erschießen. Ohne Motiv, oder irgendwie doch: Die Sonne hat ihn so seltsam geblendet.

 Ausgezeichnet: Der Schriftsteller Albert Camus mit einigen seiner Werke am 17. Oktober 1957.

Ausgezeichnet: Der Schriftsteller Albert Camus mit einigen seiner Werke am 17. Oktober 1957.

Foto: dpa

Meursault ist der absurde Held schlechthin, der sich "der zärtlichen Gleichgültigkeit der Welt" vollkommen unterwirft.Und er ist die verstörendste Figur jenes französischen Schriftstellers, der am 7. November vor 100 Jahren im algerischen Mondovi geboren wird. Der Vater stirbt wenig später in der Marne-Schlacht, die Mutter, eine maulfaule Analphabetin, wird vom Sohn stets als Ideal archaischer Einfachheit verklärt.

Iris Radisch weist in ihrer neuen Biografie "Albert Camus - Das Ideal der Einfachheit" (Rowohlt) nach, wie das Schweigen der Mutter im "Fremden" und in Camus' Existenzphilosophie widerhallt. Letztere verdankt sich zugleich der Todesgewissheit, die den an Tuberkulose erkrankten Knaben früh überfällt. Doch daraus entwickelt er im Essay "Der Mythos des Sisyphos" eine faszinierende Trotzreaktion: "Abgesehen von dieser einzigen fatalen Unabwendbarkeit des Todes ist alles, sei es Freude oder Glück, nichts als Freiheit.

Es bleibt eine Welt, in der der Mensch der einzige Herr ist." Es gehört zu den Dramen dieses nur 46-jährigen Lebens, dass Albert Camus oft zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Und das gilt nicht nur für die tödliche Fahrt im Sportcoupé seines Verlegers Michel Gallimard, das am 4. Januar 1960 auf schnurgerader, nasser Straße gegen eine Platane knallt. Nein, sein "Fremder" und der "Sisyphos" erscheinen 1942 in Paris, und stoßen mit ihrem Fatalismus keineswegs auf Widerstand der deutschen Besatzer.

Camus fühlt sich in der Falle, aus der ihn nur ein skeptisch gehärteter Humanismus befreit. So schreibt er Leitartikel für das Résistance-Blatt "Combat", als dessen Chefredakteur er später reüssiert. Nach Kriegsende ist er ein Star, wirkt mit hochgeschlagenem Trenchcoatkragen wie der Humphrey Bogart der französischen Literatur. Er hat eine bis zum Selbstmordversuch verzweifelnde Frau, schöne Geliebte und Bewunderer in den Cafés von St.-Germain-des Prés. Dennoch hält er Sonne, Meer und gebräunte Strand-Schönheiten für das wahre Lebenselixier und Paris nur für "die einzige bewohnbare Wüste".

Doch dort feiert er Erfolge, besonders mit seinem Gleichnis "Die Pest", dessen auf verlorenem Posten kämpfender Held Dr. Rieux schon Symbolfigur des Essays "Der Mensch in der Revolte" wird. Camus, der ohnehin die luzide Mittelmeerkultur vor die düsteren deutschen Ideen stellt, rechnet hier mit Europas Hybris ab, besonders mit Hegels Philosophie des Absoluten. 1951 ist dies zwar eine honorige Position, die aber den Pariser "Freunden" Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir missfällt.

Beide halten auf dem Weg zur Weltrevolution diverse Gulags für unschöne, aber unvermeidliche Etappen. In seiner Zeitschrift "Temps moderners" lässt Sartre Camus' Text eher mild verreißen, antwortet dann aber selbst auf die Replik des Autors: "Und was, wenn Ihr Buch einfach nur von Ihrer philosophischen Inkompetenz zeugen würde? Wenn Sie einfach nicht besonders gut denken könnten?"

Dieser Vernichtungsschlag verbannt Camus aus den Pariser Intellektuellenzirkeln. Und dass seine Totalitarismus-Kritik von der Geschichte Recht bekommt, während Sartre später töricht mit der RAF flirtet, soll er nicht mehr erleben. Viel Zeit bleibt ohnehin nicht mehr. Er fährt noch zweimal nach Algerien, sucht das verlorene Jugendglück und schreibt darüber die wunderbare "Heimkehr nach Tipasa". Und er findet endlich ein Haus fern von Paris, im provençalischen Lourmarin.

Sein Roman "Der Fall" wird 1956 zum ätzend-brillanten Selbstporträt eines am Erfolg Gescheiterten - der gerade in seiner tiefsten Lebenskrise 1957 den Nobelpreis für Literatur erhält. Im geliehenen Frack auf der Stockholmer Gala kommt er sich wie ein Schauspieler vor.Von seinem absurden Helden hat er gemeint: "Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen." Bei Albert Camus darf man da nicht so sicher sein.

Info: In der VHS-Reihe "Kulturkalender" hält Hans-Joachim Pieper anlässlich des 100. Geburtstages Camus' am Donnerstag, 7. November, 20 Uhr, im Universitäts-Hauptgebäude, Hörsaal 9, den Vortrag "Revolte und Solidarität". Der Eintritt ist frei.

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