Über das Ende der Unschuld

Bonn · Knud Fehlauer hat ernüchternde Einsichten. "Das Fieber" im Bonner Euro Theater Central.

 Mal Wutbürger, mal voller Pathos: Knud Fehlauer hält unter Gabriele Gysis Regie einen abendfüllenden Monolog.

Mal Wutbürger, mal voller Pathos: Knud Fehlauer hält unter Gabriele Gysis Regie einen abendfüllenden Monolog.

Foto: Oliver Paul

Der Mann, der sich da auf der Bühne des Bonner Euro TheaterCentral niederlässt, ist ein ganz normaler bürgerlicher Typ mittleren Alters,gehobenes Bildungsniveau, wahrscheinlich Geschäftsmann. Im Badezimmer seinesnoblen Hotelzimmers ist er zusammengeklappt, während irgendwo anders in derStadt ein armer Mann auf seine Hinrichtung vorbereitet wird.

Nun sitzt er ander nächtlichen Bar und beginnt nachzudenken über die Widersprüche seinesLebens. Es kann sich vieles leisten, weil andere sich nichts leisten können. Erist in einer guten Gegend aufgewachsen und wurde vor den schlechten Viertelngewarnt.

Er besuchte renommierte Universitäten, geht regelmäßig in Theater undAusstellungen. Anderen wird jede Grundbildung verwehrt. Der Fisch, den ergenoss, wurde gefangen von hungernden Menschen. Es sind simple Wahrheiten, dieder anonyme Mann von sich gibt, dem der Whisky langsam die Zunge löst.

Die Regisseurin Gabriele Gysi hat den langen Monolog überdas Ende der Unschuld sehr aktuell neu bearbeitet. "Das Fieber" desDramatikers und Drehbuchautors Wallace Shawn, 1991 uraufgeführt in New York,ist eine hellsichtige Abrechnung mit der Weltökonomie, die den Reichtum derwenigen durch die brutale Ausbeutung der Massen garantiert.

Knud Fehlauer ist der Mann, den der Fiebervirus erwischt hatund der seinen Verstand zur Weißglut bringt. Sein Redefluss speist sich jedochnicht aus kranken Wahnvorstellungen, sondern diagnostiziert zornig verzweifeltdie Krankheit der globalisierten Wirtschaft.

Gysis Regie steuert den eherundramatischen Text klug an vielen drohenden Banalitätsfallen vorbei undstrukturiert die Redeweise des einsamen Thekenphilosophen geschickt.

Erwechselt vom Weltbürger-Plauderton zum schwitzenden Wutbürger-Pathos, isthoffnungslos selbstmitleidig und emphatisch verletzt von den Qualen derFolteropfer, rappt seinen Marx, begeistert sich gestenreich an revolutionärenPhrasen, mimt den fanatischen Gutmenschen, Partyterroristen und demagogischenSprechblasenproduzenten. Fehlauer spielt das alles hochkonzentriert.

Als Barmädchen und ungerührte Zuhörerin fungiert die jungePraktikantin Olivia Dibowski (in anderen Vorstellungen die SchauspielerinCharlotte Benner), die gelegentlich mit ihrem Geigenspiel sanft eingreift inden Wörterstrudel des Kunden.

Ein mutig ernüchterndes Spektakel der sehr bösenArt im konsumseligen Advent und bei der ausverkauften Premiere nach gut 100pausenlosen Minuten mit viel Beifall gewürdigt.

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