Interview mit Georgy Voylochnikov Über zitternde Nerven und die "russische Seele"

KÖLN · Nach seinem Auftritt im Halbfinale der International Telekom Beethoven Competition (ITBCB) treffen wir Georgy Voylochnikov zum Interview.

 Georgy Voylochnikov im Gespräch mit Kristina Pott.

Georgy Voylochnikov im Gespräch mit Kristina Pott.

Foto: Privat

Der 30-Jährige, der in Voronezh (Russland) geboren wurde und nun an der Musikhochschule in Aachen studiert, musste schon vor der Juryentscheidung davon ausgehen, das Finale nicht zu erreichen: Aufgrund eines Missverständnisses hatte er nur 35 statt der geforderten 60 Minuten Programm spielen dürfen. Im Foyer der Telekom-Zentrale erzählt er über die Herausforderungen des Wettbewerbs und den Mythos „Russische Seele“. Mit dem Pianisten sprach Kristina Pott.

Georgy, macht es für dich einen Unterschied, ob du in einem Wettbewerb oder in einem Konzert spielst?
Georgy Voylochnikov: Ja, für mich macht es schon einen Unterschied. Ich versuche jedoch immer so zu spielen, als wäre es ein Konzert. Als ich noch jünger war, mit 20 oder 22, fielen mir die Wettbewerbe leichter, weil man weniger Druck hatte. In dem Alter ist es wie ein Sport, wie ein Tennismatch. Heute habe ich zwar mehr Erfahrung, aber seltsamerweise zittern mir auch mehr die Nerven. Das ist natürlich auch ein Typfrage: Unterschiedliche Künstler haben unterschiedlich starke Nerven. Es gibt zum Beispiel den „Sportlertypen“, der heute hier, morgen da einen Wettbewerb spielen kann – ich kann das nicht. In der zweiten Runde hier war ich ganz gut, aber heute war ein ziemlich nervöser Tag. Ich bin auch schon seit Tagen erkältet, das macht es noch schwieriger.

Wie hat dir der Kammermusikteil gefallen?
Georgy Voylochnikov: Mir hat es großen Spaß gemacht! Es war wie eine Zugabe, ich habe mich total frei gefühlt. Manchmal fehlt mir die Energie für diese Musik, aber der Violinist, Denis Goldfeld, war hervorragend und ich glaube, wir haben beide dieselbe Sprache gesprochen. Ich weiß ja nicht, wie es im Saal ankam, aber von meiner Seite war es ein schöner Auftritt.

Stört es dich sehr, wenn es im Publikum laut ist?
Georgy Voylochnikov: Das ist unterschiedlich. Vor diesem Wettbewerb habe ich in Russland zwei Konzerte in sehr netten Musikschulen gegeben. In dem einen spielte ich mein Programm für die erste Wettbewerbsrunde (Bach – Präludium und Fuge, Beethoven – Bagatellen und Sonate) und ich stellte fest, dass das ein Fehler war. Für Kinder ist es sehr schwer, sich so viel ruhige und langsame Musik anzuhören und ich konnte nicht tief in die Musik eintauchen, weil ich die ganze Zeit ihre Geräusche hörte: Sie bewegten sich, redeten, fotografierten... Mir war ja klar, dass es Kinder sind, aber es hat mich doch genervt. Manchmal höre ich aber auch überhaupt nicht, was um mich herum passiert, das hängt von der Situation und dem Programm ab. Wenn man viele Noten zu spielen hat, muss man schon sehr vorsichtig sein! Hier, in der zweiten Runde, war ich völlig in die Musik versunken und nichts konnte mich beeinflussen.

Bei der ITBCB hat jede Wettbewerbsrunde einen anderen Repertoireschwerpunkt – Barock, Romantik, Moderne. Hat dir eine Runde oder eines deiner Stücke besonders gefallen?
Georgy Voylochnikov: Nein, eigentlich nicht. Aber im Allgemeinen mag ich betont virtuose Musik nicht, beispielsweise die Transkriptionen von Liszt. Für mich ist das keine gute Musik, weil ich nicht verstehe, wozu ich das tun soll. Es macht mir keinen Spaß, aber ich weiß, dass das vielen Pianisten gut gefällt.

Einer deiner Mitteilnehmer sagte, russische Musiker hätten etwas „Magisches“. Meinst du, dass da etwas dran ist, oder ist der „russische Stil“, die „russische Seele“ nur ein Klischee?
Georgy Voylochnikov: In jedem Land gibt es talentierte Menschen – und untalentierte ebenso! Ich halte den „russischen Stil“ für einen Mythos. Wir haben allerdings eine sehr starke Schule, die schon in jungen Jahren beginnt. Aber die Sowjetunion war ein riesiges Land mit ganz vielen verschiedenen Pianisten – es war eine Welt innerhalb der Welt. Wie soll man Richter, Yudina, Sofronizki vergleichen, und das sind ja nur die bekannten Namen! Ich könnte 20 oder 30 weitere nennen, die in Europa und Amerika unbekannt geblieben, aber absolut fantastisch sind.
Meine Gastfamilie hat mir Zeitungsartikel über meine zweite Wettbewerbsrunde vorgelesen, das war alles ganz nett und angenehm, aber auch ganz lustig, weil der Autor so etwas schrieb wie: „Voylochnikov nutzte bei Brahms seine tiefe, russische Seele.“ Auf der einen Seite ist das ein Kompliment, denn immerhin habe ich eine Seele – großartig! - aber auf der anderen Seite ist Brahms ein deutscher Komponist und da passt eine „tiefe, russische Seele“ vielleicht gar nicht so gut. Ich weiß, dass ich für die deutsche Schule, die einfach ein bisschen anders ist, manchmal mit zu viel Ausdruck spiele.

Also fällt es dir leichter, den richtigen Zugang zu russischen Komponisten zu finden als zu deutschen?
Georgy Voylochnikov: Russen sind für mich leichter. Nicht technisch oder intellektuell, aber es ist mein Naturell. Manchmal ist es allerdings auch schwer, russische Komponisten nicht zu ausdrucksstark zu spielen, sondern die richtige Distanz zu ihnen zu finden, vor allem für mich als Russen. Du spürst dann jede Wendung, jede Stimme – und du liebst es. Aber der Komponist stand höher als das. Besonders Rachmaninoff wird von vielen total furios interpretiert, aber das funktioniert eben nicht.

Wenn du nicht Musiker geworden wärst – was dann? Hast du da schon einmal drüber nachgedacht?
Georgy Voylochnikov: Natürlich, aber das war vor langer Zeit. Vielleicht wäre ich Sportler geworden, denn meine Mutter ist Sportlerin (mein Vater ist Musiker), aber ich weiß nicht, in welcher Sportart. Ich mag verschiedene Sportarten, Billard, Schach, Formel 1 – zumindest sehe ich mir gerne die Rennen im Fernsehen an. Ich würde aber nie Arzt werden, dafür ist mein Nervenkostüm nicht gemacht, und auch nichts mit Mathematik oder Physik, denn da habe ich riesige Probleme! Die Familie meines Vaters ist voller Naturwissenschaftler, meine Großeltern haben sogar Raketenmotoren entwickelt, aber ich bin auf diesem Gebiet wirklich schlecht.

Zum Glück bist du Pianist geworden. Was sind denn deine Pläne für die nächste Zeit?
Georgy Voylochnikov: Nach dieser Veranstaltung brauche ich erst einmal eine Pause und werde meine Familie und meine Lieben in Russland besuchen. Ich liebe Weihnachten in Deutschland, aber ich habe hier nichts zu tun: Die Hochschule hat geschlossen, also kann ich auch nicht üben. Was meine weitere Karriere angeht, kann ich das nicht so genau sagen. Ich will mein Niveau verbessern, vielleicht ein paar weitere Wettbewerbe spielen – obwohl ich sie im Moment wirklich hasse, weil ich so müde und nervlich angespannt bin. Ich habe da keinen genauen Karriere-Zeitplan, wir werden sehen.

Eine letzte Frage: Wer wird die ITBCB gewinnen?
Georgy Voylochnikov: Beethoven, hoffe ich! Er gewinnt auf jeden Fall, auf verschiedene Art und Weise. Ansonsten kann ich nichts dazu sagen, denn ich habe für mich die Regel aufgestellt, mir die anderen Teilnehmer nicht anzuhören. Außerdem ist der Gewinner eines Wettbewerbs, der einem bestimmten Komponisten gewidmet ist, nicht immer ein Spezialist für dessen Werk. Technisch ist dann alles perfekt und richtig, aber vielleicht könnten andere Pianisten, die nicht über dieselben technischen Voraussetzungen verfügen, diesen Komponisten trotzdem besser interpretieren. Bitte nicht falsch verstehen, aber im Laufe der Zeit lernt man etwas: Wenn du einen ersten Preis gewinnen willst, musst du ein Profi sein, egal, was du spielst. Richter zum Beispiel spielte sehr viel und sehr gerne Chopin, aber ich denke nicht, dass er ein Chopin-Spezialist war. Es lag einfach nicht in seiner Natur.

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