Ausstellung im Bonner Kunstverein Überraschende Einsichten mit Tolia Astakhishvili
Bonn · Tolia Astakhishvili ist mit der Ausstellung „The first finger“ im Bonner Kunstverein zu sehen. Ihre Installationen bestehen teilweise aus Alltagsgegenständen wie Koffern oder Bügelbrettern.
Hat der White Cube als brave Projektionsfläche für die Präsentation zeitgenössischer Kunst nun endgültig ausgedient? Diese Frage ist vielleicht nicht ganz fair, aber wer die Ausstellung „The first finger“ im Bonner Kunstverein betritt, dem stockt ein wenig der Atem angesichts dieser konsequenten De-Konstruktion und Transformation eines Ausstellungsraumes.
Vom White Cube ist hier kaum noch etwas übrig geblieben und das ist derart stimmig, dass man spontan denkt: Alles andere wäre langweilig. Ein solch beeindruckendes Ergebnis kommt nicht von ungefähr, sondern bedarf enormer Hingabe und Vertrauen – aus künstlerischer und vor allem auch aus kuratorischer Sicht. Kunstvereinsdirektorin Fatima Hellberg hat sich getraut, sehr viel auf eine Karte zu setzen und zeigt damit, dass ein 60 Jahre alter Kunstverein zu neuer Hochform auflaufen kann. Nebenbei darf man festhalten, dass die Auszeichnung im letzten Jahr als bester Kunstverein Deutschlands bestimmt kein Zufall war. Hier ist also eine Kuratorin, die bereit ist für eine langjährige Zusammenarbeit, die das Vertrauen in die künstlerische Planung und Improvisation mitbringt, die offen ist für radikale Ideen und das Fundraising hinbekommt, um alles umzusetzen. Ihr Gegenüber ist Tolia Astakhishvili, deren Vermögen, in vorhandene Räume völlig neue Dimensionen einzuziehen, beeindruckt. Die Künstlerin wurde 1974 in Tiflis, Georgien, geboren und arbeitet heute auch in Berlin. Über die Gattungen hinweg schafft und transformiert sie Räume, in denen Malerei und Zeichnung, Skulptur, Video und Installation gleichwertige Bestandteile einer integrierenden Künstlersprache sind. Astakhishvili setzt sich mit Architekturen als Wohnorte auseinander, in denen Geschichte gespeichert ist und eine Atmosphäre der Erinnerung wie eine Staubschicht über allem liegt. Um die vorhandenen Ausstellungsräume de facto zu verwandeln, verwendet sie Rigipsplatten, mit denen im Trockenbau so ziemlich alles zu machen ist.
Halbhohe Wände wurden eingezogen
Und so ist auch der Kunstverein in seinem Innenleben kaum noch wiederzuerkennen. Halbhohe Wände wurden eingezogen, schmale Gänge öffnen überraschende Einsichten, kleine Fensterdurchbrüche geben den Blick frei auf unzugängliche Räume und eine dunkle Pfeilerhalle reduziert die ursprüngliche Deckenhöhe von sieben Metern um die Hälfte.
Die erste Orientierungslosigkeit, die man spürt, weicht im Laufe des Rundganges einer vorsichtigen Neugier. Vorsicht deshalb, weil man zwar nicht die unheimlichen Vibes von Gregor Schneider-Räumen spürt, aber eine mysteriöse, etwas traumhafte Stimmung doch verunsichernd wirkt. Astakhishvili verwendet häufig Alltagsgegenstände in ihren Installationen und so begegnet man Bügelbrettern, Koffern und Taschen, meist zwischen zwei Wänden abgestellt, als ob sie vergessen worden wären.
Eine schwer dysfunktionale Küchenzeile zieht die Aufmerksamkeit auf sich und an einem Lüftungsgitter, aus dem es rauscht, hat sich offenbar Eis gebildet. An mehreren Stellen wurde der graue Fußboden im Kunstverein aufgestemmt, sodass die alten Leitungsrohre in der Erde freiliegen. Die Brüche, die man in dieser instabilen Realität spürt, sind weniger anekdotisch, sondern eher abstrakt konstruiert, sodass es leichtfällt, sie als Metaphern zu verstehen. Ein wiederkehrendes Element sind außerdem Modelle. Die miniaturisierten Häuser, Wohnungen und Grundrisse wirken unverdächtig und spielerisch. Ihre kleine Form hat etwas Intimes, das die großen Räume und Themen in der Privatheit spiegelt. Eine Portion Humor durchzieht den hintersten Raum der Ausstellung. Dort hat Astakhishvili mit ihrem Vater Zurab mehrere Wände mit Collagen tapeziert. Die Köpfe der Menschen aus Magazinseiten wurden durch Fotos der Künstlerin, ihres Vaters sowie von Freunden und Familienmitgliedern ersetzt. So holt man sich die Welt in die eigenen Wände und deutet das Geschehen nach eigenen Vorstellungen.
Bonner Kunstverein, Hochstadenring 22, bis 30. Juli, Di-So 13-18. Eröffnung: Freitag, 24. März, 19 Uhr. Der nächste Teil der Ausstellung findet vom 23. Juni bis 24. September im Haus am Waldsee in Berlin statt.