Süchtig nach Reinheit und Gewalt Umjubelte Premiere: George Benjamins "Written on Skin" in Bonn

Bonn · Der Höhepunkt der Handlung von George Benjamins Oper "Written on Skin" könnte auch in einem Splatter-Film reüssieren: Ein zorniger Mann gibt seiner Frau das Herz ihres Liebhabers zu essen, das er zuvor mit einem langen Messer aus dem Leib des unglücklichen Opfers herausgeschnitten hatte.

 Kostbare Objekte: (von links) Terry Wey, Miriam Clark und Evez Abdulla in der Bonner Inszenierung von "Written on Skin".

Kostbare Objekte: (von links) Terry Wey, Miriam Clark und Evez Abdulla in der Bonner Inszenierung von "Written on Skin".

Foto: Thilo Beu

Doch solche Schockmomente bezeichnen nicht das eigentliche Wesen dieser Oper, wie man am Sonntagabend bei der umjubelten Premiere im Bonner Opernhaus erleben konnte. Sie ist im Gegenteil trotz der immer präsenten Atmosphäre der Gewalt und trotz ihrer im Grunde misanthropischen Grundhaltung ein sehr poetisches Werk mit feinsten klanglichen Verästelungen, betörend schönen Orchesterfarben und kantablen Linien, die Benjamin für das ausgeklügelte Libretto von Martin Crimp gefunden hat.

Erst vor einem Jahr ist die Oper des 53-jährigen Briten in Aix-en-Provence uraufgeführt worden. Anschließend ging die Produktion auf Tour, war in London, Amsterdam, Wien und München zu sehen, wo sie auf ein begeistertes Publikum stieß. Dass nun die erste echte Neuinszenierung in Bonn (als Kooperation mit dem Beethovenfest) über die Bühne ging, muss man als Coup des neuen Generalintendanten Bernhard Helmich bezeichnen. In der Verpflichtung von Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka zeigt sich ebenfalls sein sicherer Instinkt.

In "Written on Skin" wird eine Geschichte aus dem 13. Jahrhundert erzählt, nach der ein reicher Landbesitzer einen Künstler bittet, ihm ein illuminiertes Buch zu schaffen, das die Härte seiner politischen Herrschaft auf der einen Seite zeigen soll, und auf der anderen das harmonische Zuhause mit Agnès, seiner Frau. In der Bonner Inszenierung hält der als Protector bezeichnete Landbesitzer seine Gemahlin wie einen Hund an einer goldenen Kette.

Zugleich aber spielt die Handlung auch in der Gegenwart. Die Zeiten werden durch Engel, die uns in die Geschichte hineinziehen, miteinander verbunden: Sie berichten, dass die Frau nicht schreiben und lesen könne. Ihr Mann, heißt es, sei "süchtig nach Reinheit und Gewalt".

Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka greifen in ihrem genial konstruierten Bühnenbild die unterschiedlichen Zeit- und Handlungsebenen auf und kommentieren sie zugleich, oftmals sehr moralphilosophisch, wie es auch die Engel tun. Etwa in einer albtraumhaften Sequenz, in der eine Frau aus dem Bewegungschor im Sekundentakt Kinder gebiert, die dann auf einem Förderband talwärts in die böse Welt hinein transportiert werden.

Das Herzstück der Bühne bildet ein scheinbar im Raum schwebendes Zimmerfragment. Eine goldene Leiter durchstößt surreal den Boden und ragt weit in den Himmel empor; der Rest der Bühne ist ein unwirtlicher Endzeit-Ort, um ein Loch in einer Felswand liegen unzählige Bücher. "Macht jedes Buch zu einem kostbaren Objekt auf Haut geschrieben", fordern die Engel.

Dass die Musik von Benjamin ihre magische Sogwirkung entfalten konnte, dafür sorgte ein konzentriert spielendes Beethoven Orchester, das selbst Klänge so exotischer Instrumente wie Kontrabass-Klarinette oder Glasharmonika wunderbar in einen stimmigen Gesamtklang einband. Opernchefdirigent Hendrik Vestmann gelang zudem eine perfekte Koordination zwischen Orchestergraben und Bühne, wo fünf fantastische Sänger agierten. Miriam Clark ist als Agnès ein Ereignis.

Sie verschmilzt komplett mit ihrer Rolle, singt mit hinreißendem musikalischen Ausdruck und wunderbarem Schönklang. Als Protector stellte sich Ensemble-Neuzugang Evez Abdulla (Bariton) eindrücklich vor. Er verkörpert Stärke, Rücksichtslosigkeit und Gewalt ebenso wie die Verletzlichkeit eines gekränkten Mannes. Countertenor Terry Wey verlieh dem zum "Boy" und Künstler gewordenen Ersten Engel eine himmlisch reine Stimme: ein Sphärenwesen. Susanne Blattert (Mezzo) und Tamás Tarjányi (Tenor) waren die Engel Nummer zwei und drei und alles andere als Randfiguren. George Benjamin, der zum Schlussapplaus selbst auf die Bühne kam, schien zufrieden.

Die nächsten Aufführungen: 4., 20., 26. Oktober, 28. November. Karten in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

Auf einen Blick

Das Stück: Der Brite George Benjamin hat mit "Written on Skin" eine Oper geschrieben, die das Zeug zu einem Klassiker hat.

Die Inszenierung: Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka emanzipieren sich klug von der Ur-Inszenierung aus Aix-en-Provence.

Die Musik: Man wohnt einer fantastischen Ensembleleistung bei.

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