Und der Doge wird zum Duce

Verdis "Simon Boccanegra" findet in dem Dirigenten Christoph König einen brillanten musikalischen Anwalt - Jürgen Bosse entdeckt in seiner Bonner Inszenierung zweifelhafte Parallelen zum Faschismus

Bonn. Manfred Beilharz, Bonns früherer Generalintendant, zeigte mit Verdi wenig Courage. Er verließ sich gern auf Hits wie "Troubadour", "Rigoletto", "Don Carlo" oder "Falstaff". Da ist sein Interims-Nachfolger Arnold Petersen weniger ängstlich, wenn er nun mit "Simon Boccanegra" eine Oper präsentiert, die es nie in die erste Verdi-Liga geschafft hat.

In Bonn erweist sich vor allem Christoph König am Pult des Beethoven-Orchesters als brillanter Anwalt für dieses Werk, dessen spätere, ausgereiftere Fassung von 1881 er dirigiert.

König nimmt die Musik mit einer sympathischen Leichtigkeit, zelebriert einen temperamentvollen, aber keinen knalligen Verdi-Klang.

Er dirigiert dabei nie routinemäßig über die Partitur hinweg, sondern lässt die schönen Stellen aufblühen, wie beim pastoralen Vorspiel zum ersten Akt mit seinen flirrenden Streicherklängen und den ungewöhnlichen, ganz und gar betörenden Holzbläser-Figuren, die bruchlos zu Amelias (in gelbem Badeanzug gesungener) Auftrittsarie hinüberleiten.

Die Inszenierung hat Jürgen Bosse übernommen. Als Intendant des Essener Schauspiels ist er zwar ein erfahrener Theatermann, die Oper bedeutet für ihn jedoch Neuland. Er verlegt die im Genua des 14. Jahrhunderts spielende Handlung in die 30er Jahre des 20., in ein Klima aus Gewalt und Macht.

Aus dem Dogen wird sozusagen der Duce Boccanegra. Das ist nicht gerade originell, doch Ausstatter Wolf Münzner, der die Plebejer in blaue Anzüge und die Patrizier in faschistoide Uniformen steckt und das Volk im sprichwörtlichen Sinne als gesichtslose Masse auftreten lässt, erlaubt zumindest klare Abgrenzungen.

Überhaupt legt Bosse größten Wert darauf, die undurchsichtige Handlung nachvollziehbar zu machen. Das gibt der Inszenierung etwas Holzschnitthaftes, und Bosse scheut wie im Falle des hinkenden, buckligen Intriganten Paolo auch nicht vor der Karikatur zurück.

Wolf Münzners Bühne wirkt hingegen eher abstrakt. Im Zentrum befindet sich eine schräges Spielpodest, Brücken und Stege ragen in den Raum. Im Hintergrund sieht man das Meer oder auch mal einen altersschwachen Adler als vielsagendes Machtsymbol.

Der starke Akzent auf die Politik lenkt davon ab, dass die eigentlichen Motive der Handlung immer privat sind. Der Korsar Boccanegra lässt sich nur deshalb zum Dogen wählen, weil er so die Beziehung zu der Patriziertochter Maria Fiesco legalisieren zu können glaubt.

Doch sie stirbt unwissend aus Gram. Das hindert den Dogen freilich nicht, die nächsten 25 Jahre nach dem Prolog im Amt zu bleiben. Der junge Gabriele Adorno, der Simons und Marias anonym als Amelia Grimaldi aufgewachsene Tochter liebt, ist Revoluzzer aus Eifersucht. Selbst Paolos Giftanschlag auf Boccanegra geschieht aus gekränkter Liebe.

Sängerisch bewegt sich die Produktion auf sehr beachtlichem Niveau. Dem jungen Bariton Vittorio Vitelli gelingt ein beeindruckendes Charakterbild des Titelhelden - auch ohne eigene Arie.

Damit kann die Bass-Partie des Boccanegra-Gegenspielers Jacopo Fiesco hingegen durchaus aufwarten, was Andreas Macco gleich im Prolog mit "Il lacerato spirito" mit viel Sentimento in der Stimme anrührend zu nutzen verstand. Eine ausgezeichnete Leistung brachte auch der Bariton Martin Tzenov als Paolo.

Timothy Simpson sang einen Adorno mit Stahl und Schmelz in der Stimme, und Anja Vincken konnte sich im Verlauf des Abends als Amelia zu einer bemerkenswerten Leistung steigern. Ausgezeichnet auch der von Sibylle Wagner einstudierte Opernchor.

Weitere Aufführungen: 29. Dezember und am 3., 5., 14., 18., und 30. Januar 2003; Karten unter anderem in den Zweigstellen des General-Anzeigers.

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