Tanzoratorium "Maria XXX" Unschuld und Ekstase

Bonn · Eine erste Ahnung, dass dieser Tanzabend irgendwie anders sein könnte, schleicht sich beim Anblick der Musiker ein: Zu Beginn des Tanzoratoriums "Maria XXX" von Heike Hennig & Co sitzen die Mitglieder der Lautten Compagney Berlin auf der Bonner Opernbühne und spielen Händel - in gewöhnliches Orchesterschwarz gewandet, aber barfuß. Warum, wird klar, als die Musiker ihre Instrumente ablegen, sich zu den Tänzern gesellen und mittanzen - souverän, gelassen und absolut synchron mit den Profis.

 "Maria XXX": Aufregendes Zusammenspiel von Klang, Tanz und Gesang.

"Maria XXX": Aufregendes Zusammenspiel von Klang, Tanz und Gesang.

Foto: Joachim Blobel

Es kommt noch besser: In den Reihen der Tänzer sind veritable Sänger versteckt. Die Sopranistin Marie Luise Werneburg zum Beispiel, die plötzlich den Mund aufmacht und mit engelsgleicher Stimme Händels "Haec est regina virginum" intoniert. Auch ihre Kollegen Yosemeh Adjei (Countertenor) und Bass Ludwig Obst haben keine Probleme damit, der komplexen Choreografie zu folgen und zwischendurch mal eben eine mit allerlei vertrackten Koloraturen gespickte Barockarie zu schmettern. Heike Hennig ist bekannt für ihre Vorliebe, möglichst viele Genres unter einen Hut zu bekommen; in ihren interdisziplinären Kunstprojekten bringt sie nicht nur Oper und Tanz zusammen, sondern arbeitet auch mit Malerei, Architektur und Videoinstallation.

Dennoch ist es verblüffend, wie organisch alles in "Maria XXX" ineinandergreift. Wie ein riesiger Flügelaltar hängt da eine in grobe Pixel aufgelöste Nahaufnahme der heiligen Theresa in Verzückung: Teil der berühmt-berüchtigten Marmorskulptur von Gian Lorenzo Bernini, zugleich bildhaftes Zeugnis für das Programm der Inszenierung, die ganz ungeniert Göttliches und Menschliches, Verklärung und Schmerz, reine Unschuld und erotische Ekstase einander gegenüberstellt.

Nicht Theresa von Àvila steht jedoch im Mittelpunkt, sondern die heilige Jungfrau und Gottesmutter Maria. Oder das, was Ute Hennig in ihr zu sehen glaubt - unter anderem ein "Symbol für das Weibliche und Objekt der Begierde und Phantasmen". Das Ensemble tanzt Maria als Heilige und als Hure, nicht immer frei von kalkulierter Provokation, aber immer spannend. Auch, weil sich der Formenreichtum aus Ballett und modernem Ausdruckstanz, angereichert mit Ausflügen in die Welt des Freestyle und Breakdance, schon mal ganz gehörig reibt an der musikalischen Welt der barocken Marienkantaten.

Einen zusätzlichen Klangraum voller Bildkraft eröffnet die Soundkünstlerin Cornelia Friederike Müller, wenn sie den historischen Soundtrack elektronisch verfremdet oder mit Zitaten aus Rilkes "Marien-Leben" und assoziationsreichen Geräuschen zauberhafte Stimmungen heraufbeschwört. Die schönsten Momente findet das Tanzoratorium in konzentrierten Bildern für die Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit. Wenn sich die Tänzer unter einem riesigen Tuch pyramidenförmig zur Schutzmantelmadonna gruppieren, ist das ein Eindruck, der bleibt - selbst wenn sich die Ikone der christlichen Marienverehrung kurz darauf wieder in Schmerz und Verwirrung verliert.

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