Unter einem Spielberg-Himmel

Midge Ure in der Endenicher Harmonie, Pigor und Benedikt Eichhorn im Haus der Springmaus - Der Inbegriff der achtziger Jahre hier, zeitgenössische Chansons und beißender Spott dort

"Oh Vienna - This means nothing to me!"  Midge Ure singt.

"Oh Vienna - This means nothing to me!" Midge Ure singt.

Foto: Müller

Endenich. Manchmal laufen die Dinge einfach anders als gewohnt. Ein Novemberabend zum Beispiel, den man wider alle meteorologische Erwartung im T-Shirt hätte verbringen können. Oder die Songs von Midge Ure, ehemaliger Sänger von Ultravox, der diesen Abend auf der Bühne der mit über 200 Menschen mehr als ordentlich gefüllten Harmonie verbringt.

Normalerweise sind Ultravox-Songs quasi der Inbegriff all dessen, wofür die Musik der achtziger Jahre bekannt ist: synthetisch, groovy, schmachtend-bombastisch und meist komisch frisiert. Hier und jetzt ist Midge Ure nichts von alledem.

Alleine steht er auf der Bühne, bewaffnet nur mit einer Akustikgitarre, seinem unauffälligen, aber präsenten Charisma und einer immer noch in allem Glanze strahlenden Ausnahmestimme, die in den aufs Wesentliche herunterarrangierten Songs besser zur Geltung kommt als je zuvor.

Selbstverständlich enthält die Setlist die großen Hits vergangener Tage, wie "Vienna", "Dancing With Tears In My Eyes" oder den etwas jüngeren Solo-Hit "Breathe". Alle klingen sie sehr organisch und erdig. Sehr deutlich wird das beim Rausschmeißer "Hymn", der in dieser großartigen Form auch von den Levellers stammen könnte.

Mindestens so toll ist aber nicht ganz so bekanntes Material, das teilweise überraschend düster ausfällt. Verdienterweise werden Stücke wie "Let Me Go" und vor allem das dramatische "Beneath A Spielberg Sky" aber dennoch genauso laut beklatscht wie die Klassiker.

Das entlockt denn auch Midge Ure ein gelegentliches Grinsen, wobei der mit dem breitest möglichen schottischen Akzent gesegnete Sänger ansonsten eher unkommunikativ ist. Außer wenn er sich dezent entnervt, manchmal gar drastisch an die gelegentlichen Zwischenrufer wendet. Nun ja, die werden ihm hoffentlich nicht den ansonsten für alle Beteiligten sehr gelungenen Abend verdorben haben.

Haus der Springmaus. Die Marschrichtung ist vorgegeben: "Pigor singt. Benedikt Eichhorn muss begleiten". So weit, so gut. Das tut er nun schon seit Mitte der 90er Jahre, so dass bislang drei Programme zusammenkamen.

Das aktuelle Kompendium zeitgenössischer Chansons und beißenden Spotts - kurz als "Volumen 4" bezeichnet - stellten die beiden jetzt zum "Endenicher Herbst" im Haus der Springmaus vor. Und dazu den "Ulf", der Pigor mit elektronischen Beats, Klangeffekten und allerlei Live-Einspielungen akustisch unter die Arme greift und dafür böse Blicke und Handgreiflichkeiten von Eichhorn über sich ergehen lassen muss.

Da es sich aber um eine mit dem Deutschen Kleinkunstpreis ausgezeichnete Mischung zwischen Gesang und Satire handelt, braucht man sich um Ulf keine ernsthaften Sorgen zu machen.

Schon eher um (Thomas) Pigor, der seinen Freunden nie beim Umzug helfen will, der sich angesichts kleiner dicker und ebenso militanter Frauen an den Supermarktkassen und auf den Straßen dieser Welt klammheimlich in Gewaltfantasien ergeht und Abschiedsrituale unter Freunden irgendwie widerlich findet.

Doch wenn dieser amüsante Fiesling mit napoleonisch ins Gesicht gekämmtem Haar und Schmollmund ausholt, um zum Beispiel im "Hauptbahnhof von Paris" erstarrte Klischees verbal in der Luft zu zerreißen, dann möge man ihm derlei persönliche Nickligkeiten und alle mit Genuss zelebrierten rhetorischen Entgleisungen nachsehen. Denn das macht dem Berliner Chansonnier neuer Schule so schnell keiner nach.

Das alles klingt zugegeben recht schräg, ist es auch und bietet zwei Stunden Unterhaltung auf erfrischend hohem Niveau. Nur der Eichhorn muss wieder mal auf seinen größten Triumph verzichten: seine CDs mit Pigor als Benedikt XVI. zu signieren. Fehlanzeige: Schließlich steht die Rangfolge fest.

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