Kölner "Cyrano"-Premiere Verloren im Effektgewitter

Köln · Der Bonner „Woyzeck“-Regisseur Simon Solberg inszeniert „Cyrano de Bergerac“ am Schauspiel Köln. Die Regie feuert aus allen Rohren.

 Der Liebende als Rapper: Stefko Hanushevsky verkörpert Edmond Rostands Titelhelden.

Der Liebende als Rapper: Stefko Hanushevsky verkörpert Edmond Rostands Titelhelden.

Foto: Tommy Hetzel

"Glotzt nicht so romantisch!“ – dieses Bürgerschreckmotto von Bertolt Brecht würde Simon Solberg wohl sofort unterschreiben. Im Depot 1 des Kölner Schauspiels jedenfalls stöpselt er Edmond Rostands tragikomischen „Cyrano de Bergerac“ (Uraufführung: 1897) radikal um: aus den Adelskulissen des 17. Jahrhunderts in die HipHop-Boxen von heute: also dröhnende Live-Musik der fünfköpfigen Band, während der Titelheld mit Bomberjacke den Gangsta-Rapper gibt.

Irgendwie soll Cyrano gleichwohl mondsüchtiger Visionär, fechtkundiger Recke und aufmüpfiger Verseschmied bleiben. Der glaubt die schöne Roxane aufgrund seiner Hässlichkeit aussichtslos zu lieben, weshalb er alle amouröse Inbrunst dem hohlen Schönling Christian einflüstert. Wenn er dessen Erfolg ebenso auskostet wie erleidet, ist das komisch, aber auch ein Exzess seelischer Grausamkeit.

Rostands Klassiker entpuppt sich bei aller Unterhaltungsqualität als zartes Motivgespinst, das Solberg auf seiner endzeitlich zerklüfteten Bühne einer Zerreißprobe unterzieht. Die Regie feuert aus allen Rohren: blendende Lichtbatterie, ergiebige Nebelwerfer und fast pausenlose Tempobolzerei.

Klar, das passt zum athletische Anspruch, den Sandsack, Ultimate-Fighting-Käfig und Gymnastikmatten vorgeben. Stefko Hanushevskys Cyrano zeigt sich ebenso fit wie Nikolaus Bendas Christian, der per Trampolin immer wieder Roxanes Balkon zu erreichen versucht und an der (weichen) Wand abschmiert. An Einfällen also mangelt es keineswegs, im Gegenteil.

In Anspielung auf Cyranos (hier gar nicht) riesige Nase wird mit Nasi Goreng gekalauert oder mal eben Kölns endlose Bühnenbaustelle gestreift. Auch „Schmähkritik“ kommt vor, dazu etliche Gags („Soufflieren? Bist du bescheuert, ich bin Veganer!“). So soll die personell skelettierte, rabiat gestraffte Vorlage verteufelt modern wirken, wobei man die Stimmungsmalerei vor allem dem Soundtrack anvertraut: von Busta Rhymes über The Roots („You got me“) bis zu Karen Os „Moon Song“. Manchmal passt dies so gut wie bei Tarantino, doch allzu oft werden Rostands heiter-wehmütig tanzende Verse von fetten Beats plattgewummert. Ausgerechnet für die graziöse Verführungskraft der Sprache, Cyranos Trumpf, bleibt dieser Abend über weite Strecken taub.

Gewiss, Solberg wagt (seltene) Ausbrüche aus der eigenen Plakativitätsfalle: Özgür Karadeniz ist als Le Bret ein sensibler Erzähler im Rollstuhl, und nach der Verbannung der Gascogner Kadetten durch Graf Guiche (schneidend-böse: Benjamin Höppner) weicht das Effektgewitter grimmiger Nachtschwärze. Nun soll es endlich um den tragischen Kern der „romantischen Komödie“ gehen: Cyranos fatale Überschätzung äußerer Schönheit samt der Geringschätzung seines Seeleneinklangs mit Roxane, den er dem Rivalen andichtete.

Plötzlich muss Nikolaus Bendas Christian vom Dummschwätzer zum todgeweihten Durchblicker mutieren und Annika Schillings elegante, kühl-kokette Roxane zur bitter Getäuschten.

Aber selbst dem famosen Stefko Hanushevsky fällt es schwer, den Schalter von witziger Hyperaktivität auf vernichtende Selbsterkenntnis umzulegen. Wenn er begreift, dass ihn nur Angst vor Blamage um sein Glück betrogen hat, ist es zu spät: für eine Zukunft mit Roxane – und für diese letztlich allzu grobschlächtige Aufführung. Kräftiger Beifall, einige Bravi.

100 Minuten, keine Pause. Die nächsten Aufführungen: : 28. und 29. April sowie 8., 10., 13,. und 21. Mai, jeweils 19.30 Uhr. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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