Festival in Bonn Videonale serviert im Kunstmuseum eine erstklassige Mischung

Bonn · Ein Konklave der besonderen Art in der römischen Kirche Santo Spirito: Drei Vertreter des Vatikans sitzen an einem Tisch, beäugen die 13 Christus-Kandidaten, die bärtig und mit wallendem Umhang ihr Bestes geben. Die Jury kommentiert, gibt Tipps, fordert Gesten und charakteristische Haltungen ein.

 Luftig präsentiert: Charles Firebanks Wrestler-Video (links) und "In Free Fall" von Hito Steyerl bei der Videonale.

Luftig präsentiert: Charles Firebanks Wrestler-Video (links) und "In Free Fall" von Hito Steyerl bei der Videonale.

Foto: Horst Müller

Die Kandidaten sind ernsthaft bei der Sache. Am Ende kürt die Jury von "Casting Jesus" den idealen Christus, der dann im Blitzlichtgewitter abtritt. Rom sucht den Superstar. Christian Jankowskis 60-Minuten-Video ist keine Spaßnummer, eher ein hochkonzentriertes Kammerspiel über Erwartungen, über Sein und Schein in der Casting- wie in der realen Welt.

Dokumentarisch und künstlerisch, hybrid und zutiefst existenziell kommt dieser Stoff daher. Durch die Aktualitäten in Rom und das anstehende Konklave erhält er eine Brisanz, die sich die Jury der Videonale nicht hat ausmalen können. Jankowskis Film ist einer von 41 ausgewählten Beiträgen, sicherlich einer der besten, mit denen die Videonale Bonn in die 14. Runde geht.

Europas ältestes Videofestival hatte die Rekordzahl von 2100 Einsendungen aus 70 Ländern zu bewältigen. Im Kunstmuseum ist nun ein Best-Of zu sehen. Eine exzellente Auswahl. Einen größeren Raum davon nehmen autobiografische Skizzen ein. Etwa diese: Robert-Jan Lacombe verließ als Zehnjähriger mit seiner Familie sein Geburtsland Zaire, kehrte als junger Mann zurück mit einer Handvoll Erinnerungen und Dokumenten aus seiner Kindheit.

Sein Film "Kwa Heri Mandima" mischt dieses biografische Material mit einer wunderbaren Dokumentation über die Suche nach seinen Wurzeln. Ein feinfühliges, raffiniert konstruiertes Video. Eher anarchisch ist dagegen die biografische Recherche von Clemens Krauss und Benjamin Heisenberg: Es geht um einen fiktiven Jungen, der seine Umwelt mit echten und fingierten Anfällen terrorisiert. Mit filmischen Fundstücken rekonstruiert das Duo eine bizarre Biografie.

Nicht eine sondern gleich ein Dutzend Lebensgeschichten rekapituliert Michal Kosakowski in seiner exzellenten Langzeitstudie "Zero Killed", in der Menschen ihm ihre Mordfantasien anvertrauten. Kosakowski setzte sie in Szene und interviewte die Protagonisten Jahre später. Im Vergleich zu früheren Videonalen fällt ein erfreulicher Hang zum politischen Film auf. Inhaltlich wie formal erstklassige Beiträge sind aus diesem Bereich zu sehen: Meena Nanji und Tommy Gear lehnen sich mit "Transmission of Alphaville" an Godards Überwachungsstaat-Parabel "Alphaville" (1965) an, zeichnen ein gespenstisches Bild der USA nach dem Erlass des "Patriot Act" im Nachgang zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001.

Zahlen und Bildmaterial, Statistiken und Aufnahmen von Polizeigewalt in den USA sind zu sehen, sogar die aktuelle Kampfdrohnen-Diskussion kommt in diesem kritischen Beitrag zur Sprache. Nicht minder erschütternd "A short Film about War" von Jon Thomson und Alison Craighead, eine Collage aus Ton, Bild und Text, oder Chang-Jin Lees berührende Dokumentation über mehr als 200.000 Frauen, die die japanische Armee während des Zweiten Weltkriegs als Sexsklavinnen in sogenannten Comfort Stations hielt.

Der koreanische Künstler hat mit Überlebenden geredet, zeigt nur einen Ausschnitt ihrer Gesichter und protokolliert den Text. Das Tabuthema Homosexualität im Alter setzt Dan Marti in "Bacon's Dog" feinfühlig um. Faszinierend ist in der 14. Folge des Bonner Videofestivals die ungeheure Bandbreite der Ausdrucksformen und Techniken, die geeignet ist, die ganze Potenz dieses Genres zu zeigen.

Die Skala reicht von der Dokumentation mit der verwackelten Handkamera bis zum großen Breitwandkino, vom Animations- bis zum Zeichentrickfilm (abgründig und toll: Mariola Brillowskas "Teufelskinder"). Raffiniert, wie etwa in Hito Steyerls "In Free Fall" die Ebenen permanent wechseln, die verblüffenden Locations durcheinander gewirbelt werden. Großes Kino - wie in Melanie Manchots überragender Stimmungsskizze an einer verschneiten Skischanze, kantige Skispringer inklusive, oder Sergio Belinchóns Edelwestern "Adiós Amigo". Über 14 spannende Stunden Filmmaterial hat die Videonale zu bieten. 50 Minuten davon allein lohnen schon den Besuch: Frances Scholz' turbulente "Episodes of Starlite I-V" muss man gesehen haben.

Die Videonale erobert die Stadt Bonn

Eröffnung: Am Donnerstag, 20 Uhr, wird die 14. Videonale im Kunstmuseum Bonn eröffnet. Dort ist die Videonale-Ausstellung mit 41 Beiträgen zu sehen, dort ist auch der Hauptspielort des Festivals (Programm: www.videonale.org). Doch die Videonale beschränkt sich diesmal nicht auf das Kunstmuseum. Mehrere Stationen im August-Macke-Viertel beteiligen sich am Videonale-Parcours.

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