Junges Theater "Voll cool" in der Betonwüste

Bonn · Es war ein toller Sommer. Auch wenn Maiks Vater stinksauer ist, dass sein Sohn sich nun vor Gericht verantworten muss. Vor lauter Wut schlägt er zu. Maik wischt sich das Blut aus dem Gesicht, während er beginnt, seine Geschichte zu erzählen.

Aus dem Ghettoblaster tönt Richard Claydermans Klaviergeklimper: Szene aus "Tschick" im Jungen Theater.

Aus dem Ghettoblaster tönt Richard Claydermans Klaviergeklimper: Szene aus "Tschick" im Jungen Theater.

Foto: Junges Theater Bonn

Der vierzehnjährige Junge kämpft regelrecht um seine Wahrheit, die ihn die Welt plötzlich neu erfahren ließ. Tatsächlich "erfahren", denn mit einem geklauten Auto haben er und Tschick sich auf eine Reise gemacht. In Richtung Walachei, wo vielleicht Tschicks Großvater wohnt. Im Grunde nur nach "irgendwo da draußen", denn "Karten sind was für Muschis". Findet jedenfalls Maiks Klassenkamerad Tschick, der eigentlich Andrej Tschichatschow heißt, aus Russland stammt und nicht gern viele Worte macht.

Ziemlich rau ist der Umgangston der Jugendlichen in dem 2010 erschienenen Roman "Tschick" des 1965 in Hamburg geborenen und 2013 verstorbenen Autors Wolfgang Herrndorf. Das 2011 unter anderem mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnete Werk wurde rasch ein Bestseller und steht derzeit in der Bühnenfassung von Robert Koall an zahlreichen deutschsprachigen Theatern auf dem Spielplan. Das Junge Theater Bonn ist das erste, das die jugendlichen Rollen mit gleichaltrigen Darstellern besetzt. Sie reden ihre "krasse" Sprache, in die sich jedoch immer wieder sehr poetische Töne mischen.

Die Inszenierung von Lajos Wenzel, der auch das betonkalte Einheitsbühnenbild mit Ausblicken ins romantisch Blaue entworfen hat, stellt die Brüche zwischen ruppigen Dialogen und raffinierten Sprachbildern ebenso präzis heraus wie die Schnittstellen zwischen Erzählung und Drama. Seine Regie vermeidet jeden platten Naturalismus: Es gibt keinen schrottreifen Lada auf der Bühne; alles ist gespielt bis zum Joghurtbecher als Brombeergestrüpp.

Vollkommen echt ist dagegen Maiks liebevoller Schulaufsatz über seine alkoholkranke Mutter, der ihm zeitweise den Spitznamen "Psycho" eintrug und einen brutalen Tadel seines Deutschlehrers. Ungemein berührend verkörpert Marian Juhasz (alternierend mit Ricardo Rausch) den wohlstandsverwahrlosten Jungen, dessen Mama mal wieder eine "Beautyfarm" (gleich Entzugsklinik) braucht, während Papa sich mit seiner jungen "Assistentin" eine Auszeit gönnt.

"Voll cool" agiert dagegen Tschick mit zweifelhaftem Familienhintergrund und Russenmafia-Silberkettchen (Kostüme: Brigitte Winter). Justus Einig (alternierend mit Yannic Currlin) spielt brillant diesen weichherzig robusten Typen. Dass er auf seinem Ghettoblaster nur eine Kassette mit Richard Clayderman hat, findet Maik reichlich abwegig: Statt Musik nur Klaviergeklimper (filmreife Bühnenmusik von Serge Weber). Dass die Klassenschönheit Tatjana (sieht nach Meinung der beiden "superporno" aus) die beiden Außenseiter nicht zu ihrer Geburtstagsparty eingeladen hat, ist ein Tiefschlag fürs pubertierende männliche Ego. Ein solides Selbstbewusstsein hat freilich das Mädchen Isa (Lucia Zitz / Ricarda Langner), das total verdreckt auf einer Müllkippe haust.

Andrea Brunetti und Jan Hermann aus dem erwachsenen Profi-Ensemble spielen außer Maiks an der Flasche hängender Mutter und seinem cholerischen Vater auch alle anderen merkwürdigen Gestalten, denen die Jungs auf ihrer Reise begegnen.

Der Premierenbeifall am Mittwoch war nach zwei fabelhaften Stunden geradezu stürmisch.

Nächste Abendvorstellungen am 15. und 16. Mai jeweils um 19.30 Uhr. Karten u.a. in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellenoder unter 0228-463672. Weitere Infos unter www.jt-bonn.de.

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