Clavigo - Salzburg Festival Von Goethe bleibt kaum etwas übrig

In Reihe sieben des Salzburger Landestheaters machte eine Dame nach der Vorstellung ihrem Herzen Luft. Sie habe sich auf eine schöne Aufführung von Goethes "Clavigo" gefreut, gern auch modern und realistisch, aber das hier sei ja ein völlig anderes Stück gewesen.

 Intimität mit Pappnase: Szene aus in "Clavigo".

Intimität mit Pappnase: Szene aus in "Clavigo".

Foto: dpa

Am liebsten würde sie sich bei der Festspielleitung beschweren. Leider sei sie im Schreiben von Reklamationen ungeübt. Der Dame kann geholfen werden. Hier ein Briefentwurf für sie, in hundertprozentiger Übereinstimmung mit ihrer Verärgerung verfasst:

"Sehr geehrte Damen und Herren, sehr verehrter Herr Schauspieldirektor Bechtolf! Ich besuche die Festspiele seit vielen Jahren. Ich bin eine treue Kundin, doch nicht gestrig; ich unterstütze alles Moderne. Aber irgendwann ist Feierabend. Ich möchte Ihnen meine Gefühle während der Aufführung schildern. Ich sitze also in der Premiere von Goethes ,Clavigo'. Schon als fünf Menschen mit Clownsnasen auf die Bühne kommen und zu singstammeln und zu zappeln beginnen, schwant mir Schlimmes. Dann stellt sich heraus, dass alle Geschlechter vertauscht sind.

Clavigo ist hier eine dralle Blondine, die wie eine Wurst in der Pelle eines Paillettenkleids steckt. Marie ist dagegen ein Kerl, ein extrem langer Laban. Auch Beaumarchais ist eine Frau. Was der Regisseur Stephan Kimmig mit dem riesigen Heißluftbalon im Hintergrund mit dem Madrid der Vor-Goethe-Zeit sagen will, wo das Stück ja spielt, erschließt sich mir nicht. Von Goethe bleibt vielleicht ein Zehntel übrig, wenn überhaupt. Stattdessen werden fortwährend Fremdtexte eingefügt, in denen es um die Einzigartigkeit des Künstlers geht. Einmal kommt auch ein Zitat von Wolf Biermann: ,Es gibt ein Leben vor dem Tod.'

Die Schauspieler - da will ich gar nicht meckern - sind ohne Zweifel großartig. Susanne Wolff spielt toll die Frau Clavigo, obwohl ich mir einen spanischen Journalisten der Goethe-Zeit, der unter Ruhmsucht leidet und vor langfristigen Liebesverhältnissen zurückschreckt, anders vorstelle. Marcel Kohler ist eine sensitive Marie, eine Art Gummimensch mit traurigen Augen. Sein/ihr letzter Dialog mit seinem Bruder Beaumarchais (hier die grandiose Kathleen Morgeneyer) endet damit, dass er/sie das Wort ,tot' auf einen Spiegel schreibt und abgeht.

Dass Clavigo wenig später ebenfalls stirbt, kann ich nicht erkennen. Stattdessen steht das Quintett als Clownstruppe da und zappelt. Ich werde Salzburg und dem Geist der Innovation weiterhin die Treue halten, aber diesmal empfinde ich eine massive Produktenttäuschung. Ich möchte nicht mein Geld zurückverlangen, das erscheint mir aussichtslos. Aber ich frage höflich, ob Sie, die Festspielleitung, mir nicht zur Linderung meines Ärgers eine Freikarte für irgendeine andere Aufführung anbieten möchten, von der Sie glauben, dass ich das Kunstwerk einigermaßen wiedererkennen kann.

Über Ihre baldige Antwort freue ich mich schon jetzt. Hochachtung, Unterschrift usw."

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