Peter Wohlleben bei der Lit.Cologne Von träumenden Fruchtfliegen

Köln · Förster Peter Wohlleben und Philosoph Richard David Precht diskutieren bei der Lit.Cologne über Tiere. Eine hochkonzentrierte Debatte.

Zu was ein Betriebsausflug führen kann, verriet Lit.Cologne-Chef Rainer Osnowski bei seiner Begrüßung der 1000 Zuhörer im ausverkauften Gürzenich: Derart „andächtig“ habe das sonst so lebhafte Team da den Ausführungen von Förster Peter Wohlleben im Wald gelauscht, dass klar war, der Bestsellerautor wird mit seinem neuen Titel über „Das Seelenleben der Tiere“ zum Literaturfest eingeladen, Sachbuch hin oder her.

In der Tat wurde keine Zeile vorgelesen beim „Spitzentreffen“ mit Philosoph Richard David Precht, der seine aktuelle Abhandlung „Tiere denken“ mitbrachte. Dafür sprachen die beiden unter Leitung des Journalisten Andreas Lebert hochkonzentriert über ihr gemeinsames Anliegen: „Wie nah sind uns die Tiere“?

Kommt auf die menschlichen Interessen an, stellten beide fest. Wir haben ein Tierschutzgesetz – doch schon der erste Paragraf („Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“) sei in Wahrheit nur „ein kurzer Text über das Töten“ etwa aus ökonomischen Gründen, so Precht. Dass die Wissenschaft Tiere in Abgrenzung zum empfindsamen Menschen noch immer als niedere Instinktwesen einstuft, findet auch Wohlleben absurd: „Die Natur hat sich doch nicht für uns allein einen Extratopf an Gefühlen ausgedacht!“

Anstoß zum Denken über Beziehung zu Tieren

Klug ergänzten sich der Denker Precht und der beobachtende Praktiker Wohlleben: Während Precht fundiert die Abspaltung des Menschen von der (eigenen) Natur belegte und die Aufklärung für die „kitschige Überhöhung der Vernunft“ verantwortlich machte, lieferte Wohlleben („was man nicht beweisen kann, gibt es wissenschaftlich nicht“) Gegenbeispiele von träumenden Fruchtfliegen, Raben, die Freundschaften schließen, und seinem Hahn Fridolin, der zum Ausleben seiner sexuellen Gelüste nachweislich auch mal die genervten Hofhennen belügt. „Ich esse nichts, was lügen kann!“, so Precht launig im ansonsten ernsten Kapitel Massentierhaltung und Essen. Neben die notwendige persönliche Entscheidung zu einem bewussten Fleischverzehr stellt Precht die politische Forderung nach chemisch erzeugtem Fleischersatz – ein Reizthema für Ökopuristen.

Aber auch die angeblich für den Bestand notwendige Jagd bringt beide Tierfreunde auf die Bäume: Die Jäger griffen durch Zufütterung in die natürliche Regulierung durch den Wald ein, so die Kritik Wohllebens. „Wer es braucht, nur zum Vergnügen ab und zu mal ein Tier zu töten, ist für mich psychisch krank“ erklärte Precht unter Applaus.

Unser Verhältnis zu den Tieren ist nach wie vor scheinheilig und belastet, „tiefe Natursehnsucht“ (Wohlleben) steht anderen Interessen entgegen. Auf Leberts Frage nach der Hoffnung konstatiert Precht immerhin einen steten Bewusstseinswandel – auf dem Weg zu einer Zukunft, wo „die Schlachthöfe Gedenkstätten“ sein werden.

Richard David Precht: Tiere denken. Goldmann, 512 S., 22,99 Euro. Peter Wohlleben: Das Seelenleben der Tiere. Goldmann, 240 S., 19,99 Euro.

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