"Vor vollen Schüsseln muss ich Hungers sterben"

Piria verkündet Villons "Testament" im Bonner Kult 41

Bonn. "Nur keine Hemmungen". Das war einst der Titel einer öffentlich-rechtlichen Pantomime-Show mit Michael Schanze, bei der die Darstellungskunst der mitmachenden Gäste gefragt war. Das Schöne daran war die Distanz: die einen agierend in irgendeinem x-beliebigen Studio und man selbst vorm Fernseher. Und wenn einem das Ganze zu viel wurde, schaltete man eben ab. Wer als Zuschauer ins Kult 41 gekommen war, für den war Entrinnen zwecklos. Im positiven Sinne.

Giampiero Piria, geboren 1964 in Oberhausen und seit 1996 Ensemblemitglied beim Freudenhaus-Theater im Grend in Essen, brachte François Villons "Das Testament" in einer Inszenierung von Markus Andrae als Ein-Mann-Stück auf die Bühne. Jenes laut Programmankündigung "legendären Vagabunden, Saufkumpanen und Lebenskünstlers" des französischen Mittelalters, dem Klaus Kinski durch seine Interpretation von "Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund" zusätzliche Bekanntheit verschafft hatte.

Und Piria scheute sich nicht, das Publikum zu seinen Statisten zu machen. Barfuß, mit dreckig geschminktem Gesicht, stieg er kurzerhand auf einen der mit Teelichtern und abgestellten Bierflaschen bestückten Zuschauertische, faltete seine Hände und streckte sie zur Decke. Dann machte er seine Runde, blieb stehen, um die Zuschauer mit anklagendem Blick zu mustern.

Entstanden 1461, zeichnet sich Villons Hauptwerk durch eine witzige Kombination aus den Parodien einer höfischen Liebesklage, eines literarischen Testaments und eines Traumgedichts aus. Als Ausgestoßener spricht Villon in seinem "Testament" für die Menschen am Rande der Gesellschaft:

"Verdorrt sind Wissen und Verstand, verleugnet und gemieden, weil nie Erfolg mir war beschieden." Oder: "Vor vollen Schüsseln muss ich Hungers sterben, am heißen Ofen frier ich mich zu Tod." Auch Jahrhunderte später, dank der Darstellungskraft eines Giampiero Piria, sind die zentralen Probleme menschlicher Kultur jederzeit greifbar: Der Kampf um Existenz, Liebe und Anerkennung.

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