Vorsicht BSE-Gefahr: Die Verwurstung eines Dramas

Sebastian Hartmann will in Köln mit Hauptmanns "Einsamen Menschen" provozieren, nervt aber nur

  Allein gelassen:  Therese Dürrenberger und Anja Laïs in der Kölner Inszenierung von "Einsame Menschen".

Allein gelassen: Therese Dürrenberger und Anja Laïs in der Kölner Inszenierung von "Einsame Menschen".

Foto: Klaus Lefebvre

Köln. Irgendwann an diesem unsäglichen Abend gräbt der Schauspieler Thomas Lawinky eine Urne aus und fragt sich, was darinnen ist. "Das Gehirn des Regisseurs" kommt die Antwort postwendend aus den hinteren Rängen und wird mit dem Applaus des gequälten Publikums quittiert. Sebastian Hartmanns Version von Gerhart Hauptmanns "Einsamen Menschen" am Kölner Schauspiel ist noch lange nicht vorbei, da wünschen sich die meisten Zuschauer schon ganz weit weg; viele gehen einfach.

Dass diese Inszenierung kein gemütliches psychologisches Beziehungsdrama werden würde, war klar. Hartmann, seit 1999 Hausregisseur an der Berliner Volksbühne, hat seine eigene Theatergruppe nicht umsonst "wehrtheater Hartmann" genannt: Experiment, Provokation und möglichst viel Aufmerksamkeit für die eigene Person sind sein Programm. Da ist Hauptmanns Stück über die Vereinsamung der Menschen und das Scheitern eines fortschrittlichen Intellektuellen in einer stockkonservativen Umgebung einfach nicht Aufsehen erregend genug. Also flugs zwei Pappmaché-Kühe vor eine schwarzrotgoldene Flagge platziert, einen menschenfressenden Cola-Automaten aufgestellt, und voilà die aktuellen Bezüge zu BSE-Deutschland und Konsumterror. Die "Aufhören"-Rufe kommen wie bestellt, der Regisseur hat sein Skandälchen.

Der eigentliche Skandal dieses Abends sind jedoch nicht Bürgerschreck-liche Szenen wie die naturalistische Sektion einer Leiche oder das Kopulieren auf und in geschlossenen Särgen - viel schlimmer ist die Langeweile. Der Schauplatz ist ein Leichenschauhaus. Vater und Mutter Vockerath, Hannes und Klärchen, die ganze Familie läuft schon im weißen Totenhemd umher und tut sich dementsprechend schwer mit der Kommunikation. Großartige Schauspieler wie Therese Dürrenberger (Mutter), Ernst-August Schepmann als Vockerath senior und Joachim Meyerhoff ("Braun", der Sinn dieser Figur bleibt im Dunkeln) stehen mal herum wie Ölgötzen und halten mit bewundernswerter Tapferkeit die unendlichen, von jeglicher Bedeutung unbelasteten Pausen aus. Dann wiederum ergehen sie sich in Veitstanz-ähnlichen Verrenkungen und hüpfen herum wie vom Rinderwahn angesteckt. Es wird viel gebrüllt an diesem Abend und viel zu leise gesprochen.

Im undankbarsten Part müht sich Thomas Lawinky: Sein Hannes ist ein brutales und egoistisches Ekel, der seine Käthe (Artemis Chalkidou) als Fußabtreter benutzt und die Frage aufwirft, wie sich die Studentin Anna in so einen verlieben kann. Anja Laïs dagegen darf der Lichtblick des Abends sein: Als einzige trägt sie ein rotes Kleid, weilt also noch unter den Lebenden, und hat auch Anmut und Ausstrahlung nicht in der Garderobe zurückgelassen. Ihre Anna ist zu gut für diese Welt und zu gut für diese Inszenierung. Die Szenen, die der Regisseur vom Stück übrig gelassen hat, füllt sie mit einem engelhaft warmen Leuchten.

Aber kaum sind die "Einsamen Menschen" mit einem ihrer so einfachen wie beklemmenden Dialoge einmal zu Wort gekommen, zündet Hartmann wieder einen seiner nervenden Provozierer-Rohrkrepierer. "Bloß keine Geschichte erzählen", scheint das Motto dieser Aufführung zu sein, weder die des Originaltextes, noch irgendeine andere, die an so reaktionären Konzepten wie Zusammenhang oder Spannung festhält. Diese BSE-Verwurstung hat Hauptmann nicht verdient. Wie gut seine Dramen sein können, hat das Bonner Schauspiel mit "Rose Bernd" und den "Ratten" bewiesen.

Die nächsten Vorstellungen: An diesem Montag, dann am 2., 6., 9., 14., 17. und 18. Februar. Karten unter anderem in den Geschäftsstellen des General-Anzeigers.

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