Walzer für Klavier und sieben Joghurtgläser

Ob Zicke im Leopardenlook oder alte Jungfer in Gesundheitssandalen - die Lieder sind perfekt auf jeden Typus zugeschnitten - Franz Wittenbrinks sehr unterhaltsame Revue "Sekretärinnen" im Bonner Contra-Kreis

Walzer für Klavier und sieben Joghurtgläser
Foto: Contra-Kreis

Bonn. Die Tür zum Chefbüro befindet sich im Zuschauerraum, oben hinter der letzten Reihe. Was den einen Höllenpforte, ist für die anderen eine Verheißung künftiger Freuden: Jedes Mal, wenn eine der zum Diktat beim unsichtbaren Boss gerufenen Vorzimmerdamen wieder zum Vorschein kommt, pfeffert sie ihren Stenoblock wütend in die Ecke und singt sich den Frust von der Seele: "Just a little R-E-S-P-E-C-T" ist ja nun wirklich nicht zu viel verlangt, sonst kann man ja gleich mit Wolfgang Petry wahnsinnig werden und in der "Hölle, Hölle, Hölle" schmoren.

Gesungen wird überhaupt recht viel bei den von Manfred Langner in Szene gesetzten "Sekretärinnen", einer musikalischen Revue, die sich anschickt, nach dem Dauerbrenner "What a Feeling" die Musical-Tradition im Contra-Kreis erfolgreich fortzuführen. Dazu braucht es nur sieben Schreibkräfte, die zwischen Maniküre und Privatgespräch sowie im Spannungsfeld von Kopierer und Kaffeemaschine heimliche Leidenschaften ausleben und Liebeskummer musikalisch verarbeiten.

Die Seelenklempner der Damen heißen Milva und Bettina Wegener, Herbert Grönemeyer und James Brown, Cher, Gitte und Whitney Houston, und im Lebensraum Großraumbüro existiert ein melancholisches Eichendorff-Lied wie "In einem kühlen Grunde" ganz selbstverständlich neben dem gerappten Bekenntnis "Ich bin zu geil für diese Welt".

Eine Handlung ist nicht vonnöten; neben den Songs strukturieren die Befehle aus dem Chefzimmer und die Auftritte des hinreißend trotteligen Büroboten (allein unter Frauen: Sven Prüwer) einen Abend, der keine Sekunde langweilig wird. Ob Zicke im Leopardenlook oder alte Jungfer in Gesundheitssandalen - die von Autor Franz Wittenbrink ausgewählten Lieder sind perfekt auf jeden Tippsentypus zugeschnitten und werden von den schauspielerisch wie gesanglich versierten Darstellerinnen nahezu perfekt präsentiert.

Kathleen Herzers Choreographie und Ulrich Jokiel als genialer Mann am Klavier tragen das Ihre dazu bei, und wenn sich die vermeintlich graue Maus Gabi Schmidt an der Keksdose festklammert und dabei "Ein Schiff wird kommen" schmachtet, wenn der Bürobote plötzlich seine Verwandtschaft mit Eros Ramazzotti entdeckt, das ganze Ensemble den rebellischen Rhythmus von "We will rock you" in die Tasten hackt oder eine berückend komponierte A-Cappella-Version von "Männer" intoniert, bleibt kein Auge trocken.

Neben den Schreibmaschinen müssen auch Stempel, Coladosen und reißendes Papier als Perkussionsinstrumente herhalten; der Strauß-Walzer "An der schönen blauen Donau" wird in der Fassung für ein Klavier, sieben Joghurtgläser und sieben Teelöffel aufgeführt.

Dass die Wirkung dieser Nummernrevue so stark ausfällt, liegt nicht zuletzt an der Nähe zwischen Akteuren und Publikum. In keinem anderen Musical-Theater der Republik sind die Zuschauer so auf Tuchfühlung mit dem singenden, tanzenden und sonstwie hantierenden Ensemble.

Jedes Mienenspiel, jedes einfallsreich eingesetzte Requisit wird aufmerksam und dankbar registriert. Gelegentlich wird es auch zu eng, wenn temperamentvollere Szenen zu laut gesungen werden und daher übersteuert wirken. Was nichts daran ändert, dass man gern zwei Stunden in diesem kleinen Großraumbüro eingepfercht bleibt. Zusammen mit der längst ausgestorbenen Gattung der Sekretärinnen, die sich mit Farbbandwechsel und Tabulatortaste die Nägel ruinieren, aber trotzdem noch singen und tanzen. Für die soll`s rote Rosen regnen.

Aufführungen täglich bis zum 20. November. Kartentelefon: (0228) 63 23 07 und 63 55 17.

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