Freunde des Beethoven Orchesters: „Lockdown undifferenziert“ Warum Beethovens Musik lebensrelevant ist

Bonn · Der „Freunde“-Vorsitzende und ehemalige Diplomat Manfred Osten sieht in Beethovens Musik einen wichtigen Beitrag zur ästhetischen Erziehung des Menschen. Auch deshalb kritisiert er den Kulturlockdown.

 Vor dem Lockdown: Das Beethoven Orchester und Marie-Astrid Hulot spielen unter Leitung von Dirk Kaftan Beethovens Violinkonzert.

Vor dem Lockdown: Das Beethoven Orchester und Marie-Astrid Hulot spielen unter Leitung von Dirk Kaftan Beethovens Violinkonzert.

Foto: Felix von Hagen

Kinos und Theater sind geschlossen, die Konzertsäle auch. In der Kulturszene regt sich weiter Unmut über die aus ihrer Sicht drastischen Corona-Schutzmaßnahmen. Der allgemeinen Kritik, dass Theater, Konzertsäle und Museen trotz funktionierender Hygienekonzepte unverhältnismäßig betroffen seien, schließt sich auch der Verein der Freunde des Beethoven Orchesters an. „Unsere Sorge ist, dass die Corona-Schutzverordnung viel zu undifferenziert ist“, sagt dessen Vorsitzender Manfred Osten. Wenngeich er durchaus als positiv herausstreicht, dass immerhin der Probenbetrieb aufrechterhalten werden kann.

Die Freunde des Beethoven Orchesters wehren sich dagegen, dass Kultur in der Begründung für den Lockdown lediglich als Freizeitaktivität definiert wird. Osten: „Dagegen möchten wir protestieren.“ Der frühere Diplomat, der laut „Welt“ „lange Zeit das Gesicht der deutschen Kulturpolitik im Ausland“ war, sieht darin eine Herabsetzung der Kultur durch die Politik. Die Argumentation der Politik impliziere, dass Kultur allgemein nicht „systemrelevant“ sei und im Besonderen auch das Beethoven Orchester nicht. Der Gelehrte und Goethe-Experte Osten spricht dem Orchester hingegen zu, es sei „humanrelevant“. „Es leistet einen entscheidenden Beitrag zu einer Idee, die in Beethovens Werken selbst hörbar wird“, sagt er  und meint damit die von Friedrich Schiller entwickelte Idee der ästhetischen Erziehung. „Sie ist  schon zu Beethovens Zeit als lebensrelevant betrachtet worden“, weiß Osten. Sie sollte als Gegenmittel wirken gegen die immer zunehmende Selbstentfremdung des Menschen  durch ständig fortschreitende arbeitsteilige Prozesse und abstrakter werdende Lebenswelten. 

„Die Idee des idealtypischen Menschen hat Beethoven in der neunten Sinfonie hörbar gemacht“, sagt Osten. Und in dieser Tradition stünde das Beethoven Orchester, nicht zuletzt auch durch die zahlreichen Projekte in der Jugendarbeit.  Das Orchester nehme die gesellschaftlich dringende Aufgabe der ästhetischen Erziehung des Menschen wahr, die an den Schulen immer mehr vernachlässigt werde.

„Pastoral“-Projekt schärft das Bewusstsein für die Natur

Aber auch durch das hohe Niveau seiner Interpretationen wirke das Orchester in die Gesellschaft hi­nein, so Osten: „Es sei hier nur daran erinnert, dass das Orchester soeben mit dem ‚Opus Klassik’-Preis ausgezeichnet wurde für die Einspielung der ‚Egmont’-Musik Beethovens.“ Osten: „Es ist daher  auch kein Zufall, dass es dem Beethoven Orchester gelungen ist, jetzt im  Beethovenjahr,  Beethovens ‚Pastoral’-Sinfonie humanrelevant und sinnlich  erfahrbar zu machen. Nämlich in Gestalt des ‚Beethoven Pastoral-Projekts’, das daran erinnert, dass es Beethoven war, der sinnfällig jene Natur hörbar gemacht hat, die wir inzwischen dramatisch erfahren als  den alles entscheidenden Faktor für die Zukunft des Lebens auf unserem Planeten.“

In seinem Plädoyer für die Kultur steht Osten freilich nicht allein. Im aktuellen Lockdown sind die Stimmen aus der Kultur und für die Kultur deutlich lauter zu vernehmen, als während des ersten Lockdowns im März/April dieses Jahres. An einer von den Münchner Philharmonikern und der Initiative #AlarmstufeRot initiierten Protestaktion, die unter dem Hashtag #SangUndKlanglos in den sozialen Netzwerk viral ging, nahmen nach Angaben der Initiatoren sowohl große öffentliche Häuser wie die Staatsopern Berlin, Stuttgart, Hannover, München, die Oper Frankfurt, die Elbphilharmonie Hamburg und das Berliner Ensemble teil, als auch Prominente wie Anne-Sophie Mutter, Udo Lindenberg und die Band Deichkind.

Anwalt Peter Raue in der „BZ“: Kulturverbot krachend rechtswidrig

Zuletzt meldete sich auch der in der Kulturszene bekannte und bewanderte Berliner Anwalt Peter Raue zu Wort. In einem Gastbeitrag für die Berliner Zeitung „BZ“ bezeichnete er den Lockdown des Kulturlebens  gar als „schiere Willkür“: „Die Darbietungen in Theater, Oper, Konzerthäusern als eine überflüssige Freizeitgestaltung zu diffamieren, ist ein Akt zynischer Gedanken- oder Kenntnislosigkeit“, schreibt er, und weiter: „Das Kulturverbot ist krachend rechtswidrig.“ 

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