Aufführung von "Bonnopoly" WCCB-Schlammschlacht in den Kammerspielen

Bonn · Die erste Hälfte ist bewegt, die zweite langweilt mit den Mitteln des Agitprop-Theaters: Volker Löschs Inszenierung von "Bonnopoly" in den Kammerspielen wurde am Ende dennoch vom Großteil des Publikums gefeiert.

Die Chefin und ihre überforderten Dienstleister: (von links) Birte Schrein, Laura Sundermann und Glenn Goltz.

Die Chefin und ihre überforderten Dienstleister: (von links) Birte Schrein, Laura Sundermann und Glenn Goltz.

Foto: Thilo Beu

Die Vorstellung beginnt mit dem Gong der Tagesschau und einer traurigen Nachricht. Bonn hat den Wettbewerb um die Rolle der Bundeshauptstadt gegen Berlin verloren. Acht Frauen und Männer sitzen in einem bieder holzgetäfelten Rahmen wie Witzfiguren. Es sind Bonner, und sie leiden. Es fühle sich an, sagt die Schauspielerin Birte Schrein, „als ob die Zeit stehengeblieben ist“. Das sichere, internationale Bonn mit den vielen Botschaften und der präsenten Polizei wird beschworen, die gute alte Bundeshauptstadtzeit, eine Idylle „so wie immer Frühling“.

Das erste Bild von Volker Löschs Inszenierung von „Bonnopoly“ in den Kammerspielen – Untertitel: „Das WCCB, die Stadt und ihr Ausverkauf“ – stimmt ein auf einen dreistündigen Theaterabend, der in der ersten Hälfte mit den Mitteln von Satire und Groteske arbeitet.

Eine Ruck-Rede "Bonnopoly" à la Roman Herzog

Bernd Braun setzt der anfänglichen Lethargie und resignativen Stimmung eine Ruck-Suada à la Roman Herzog entgegen. „Uns fehlt der Schwung“, kritisiert er. Was folgt, ist ein Plädoyer für Neoliberalismus und Individualismus: „Let’s ruck and roll.“ Wortspiele und veralberte rheinische Redewendungen gehören zu den Highlights der Aufführung.

Auftritt Bonner Bürgermeisterin: Laura Sundermann entfaltet eine Vision und bekennt: „Ich habe einen Traum von Bonn.“ Die Idee des World Conference Center Bonn (WCCB) ist geboren. Die Bürgermeisterin – das „Ober“ hat man ihr gestrichen – gibt den Startschuss zu einem der größten kommunalpolitischen Skandale Deutschlands. Er war Gegenstand der mehrjährigen Serie „Millionenfalle“ im General-Anzeiger und steht nun im Zentrum der Aufführung „Bonnopoly“. Den Text hat Ulf Schmidt mit Elisa Hempel, Volker Lösch und Leonard Merkes erarbeitet.

Es gelingt dem Schauspielteam, den komplexen Skandal mit all seinen Absurditäten und aberwitzigen Wendungen transparent zu machen. Die Kernkompetenz von Schauspielern, Menschen darzustellen, wird nicht abgefragt. Bernd Braun, Daniel Breitfelder, Lisan Lantin, Glenn Goltz, Jan Jaroszek, Holger Kraft, Birte Schrein und Laura Sundermann sprechen oft im Chor und verkörpern Typen. Den grell überzeichneten Investor (Kraft) zum Beispiel, der wie ein südkoreanischer Messias die Politiker mit einfachen rhetorischen Mitteln in erotische Ekstase versetzt: „I love Beethoven. Ich bin ein Bonner.“

Ähnlichkeit mir Bonner Persönlichkeiten

Im Programmheft werden keine Klarnamen genannt, aber die Inszenierung macht deutlich, dass die Ähnlichkeit mit lebenden Bonner Persönlichkeiten nicht zufällig, sondern beabsichtigt ist. Man hat sie bis zur Kenntlichkeit verfremdet.

Sundermann, ganz offensichtlich Stellvertreterin Bärbel Dieckmanns auf der Theaterbühne, spielt eine teflonhafte Regentin, die zur Statue erstarrt, als sie mit Problemen beim WCCB-Projekt konfrontiert wird. „Nichts Schriftliches von mir“ lautet einer ihrer Standardsätze. Als das Thema politische Verantwortung aufgerufen wird, bellt sie: „Kennen Sie eigentlich meinen Mann? Der war Justizminister in NRW.“ Die Projektverantwortlichen kehren in Birte Schreins und Glenn Goltz’ witziger Darstellung wieder als überforderte Dienstleister im kleidungsästhetisch identischen kleinen Karo.

Julia Kurzwegs Bühne verwandelt sich in einen Schlammpool, nachdem Bernd Braun als Kommunal-Midas der Bonner Politik empfohlen hat, unternehmerisch zu denken und zu handeln: „Privatisiert!“ Public Private Partnership (PPP) heißt das Gebot der Stunde. Es herrscht Goldgräberstimmung. Zu dem Song „Gold“ von Spandau Ballet springen die Akteure in den mit flüssigem Gold (vulgo: WCCB-Beton) gefüllten Bühnenpool. Dort entwickelt sich nebst Striptease eine Schlammschlacht mit Bürgermeisterin, wendigem Investor und windigen Kreditgebern mit Haiflossen. Auch Pressereporter treten auf. Lisan Lantin als personifizierte Sparkasse gibt die Stimme der Vernunft: „Wir raten zu äußerster Vorsicht“. Das oft erschallende Echo: „Schnauze, Sparkasse!“

Finanzielle Nöte angesichts steigender Mieten

Volker Lösch und sein engagiertes und inspiriertes Ensemble zeigen, wie sich alle nicht nur die Hände schmutzig machen, sondern von Kopf bis Fuß im Skandalmorast stecken. Irgendwie kommen sie am Ende da alle raus, ausgenommen der Investor. Der reale Man-Ki Kim erscheint in einer Videoprojektion in den Kammerspielen. Das Theater hat ihn am 1. September in einem Skype-Interview um eine Stellungnahme gebeten. Er fühlt sich als „Sündenbock“. Die Bühnen-Bürgermeisterin, die ihn als Glücksfall für Bonn gefeiert hat, zieht sich, begleitet von Elogen ihrer SPD, aus der Politik zurück. Dann ist Pause in den Kammerspielen. Man muss das mögen: Theater, das nah dran ist am Stoff und an den dokumentierten Quellen und seine Erkenntnisse mit viel Körper- und Musikeinsatz, krawalliger Komik und parodistischer Energie ausbreitet. Dieses WCCB-Spektakel lässt keine Langeweile aufkommen.

Nach der Pause bekommt eine Politik, die versagt hat und die Rechnung an die Steuerzahler weiterreicht, vom Theater die Quittung. Es steht erwartungsgemäß links von der Mitte. Daniel Breitfelder mag als Doppelgänger von Jürgen Nimptsch – an der Frisur sollt ihr ihn erkennen – zwar fordern: „Durch Bonn muss ein Sparschwein gehen“, um dem WCCB-Debakel zu begegnen. Doch er bleibt allein auf der Bühne. Das Schauspiel holt zum Gegenschlag aus, die Stadt sei in Wahrheit reich – reich genug, um Bedürftigen und Flüchtlingen, Jung und Alt zu helfen.

Eine Botschaft des Volkswirtschaftlers Peter Bofinger wird in den Raum projiziert, der Schulden der öffentlichen Hand grundsätzlich prima findet und die schwarze Null ökonomisch blöd. Der Journalist Werner Rügemer polemisiert gegen Public Private Partnership, und Bernhard von Grünberg vom Mieterbund Bonn macht sich im Videointerview Sorgen um die Zukunft des sozialen Wohnungsbaus.

Im öden Universum der Agitprop

Wir sind jetzt im öden Universum der Agitprop, für die Bühnenbildnerin Julia Kurzweg eine goldene Stoffbahn ausgerollt hat. „Bürger*innen der Stadt Bonn“, wie es sprachpolitisch korrekt heißt, treten auf. Zwei junge Frauen aus einer WG im Viktoriaviertel wünschen sich ein Karree ohne Investor. Donnernder Applaus. Eine Rentnerin schildert in einfachen Worten ihre finanziellen Nöte angesichts steigender Mieten: ein emotionaler, anrührender und nachdenklich machender Moment.

Dann wird es wieder plakativ. Leistungsträger werden gegen Leistungsnehmer ausgespielt, Unternehmen gegen Bürger, Investoren gegen Anwohner. Frankenbad, Kurfürstenbad, Viktoriakarree, alles soll erhalten bleiben, skandieren sie. Und tausend andere Dinge.

Stadtplanung als Wunschkonzert

Am Ende, um 22.30 Uhr, stehen ganz viele „Bürger*innen“ auf der Bühne, ein großes Stimmenorchester artikuliert in autoritärem und selbstgerecht klingendem Ton, wie Bonn aussehen soll: Stadtplanung als Wunschkonzert. An Selbstbewusstsein fehlt es ihnen nicht: „Bonn gehört uns.“ Wenn es denn so einfach wäre.

Die nächsten Aufführungen: 14., 23., 24. und 29. September; 1., 7., 11., 15. und 28. Oktober. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen. Eine Broschüre des General-Anzeigers mit den wichtigsten Fakten zum Thema WCCB ist im Foyer der Kammerspiele erhältlich.

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