Theater im Ballsaal Wechselnde Blickwinkel bei der CocoonDance-Premiere

BONN · Als "ein Stück über ein Stück" beschreibt die Company CocoonDance ihre neue Produktion "Pieces of me". Seit Jahren erforschen die Choreografin/Regisseurin Rafaële Giovanola und der Dramaturg Rainald Endraß die Bedingungen und Möglichkeiten des tänzerischen Erzählens.

 Die Spielmacherin in High Heels: Imma Rubio in "Pieces of me".

Die Spielmacherin in High Heels: Imma Rubio in "Pieces of me".

Foto: Matteo Colombo

Das interaktive "Bonusmaterial" heutiger DVDs hat sie inspiriert zu einer Reflektion über unterschiedliche Wahrnehmungsperspektiven. Das Beiwerk wird zum Hauptwerk, die Zuschauer "navigieren" durch Fragmente von Geschichten, während die zentrale Story Fiktion bleibt.

Im Ballsaal gibt es diesmal keine Bestuhlung. Das Publikum soll sich um die Spielfläche herum bewegen und seine Blickwinkel verändern. Schwarze Schriftzeichen am Rand des weißen Tanzbodens evozieren Peter Brooks "leeren Raum" und diverse topologische Konzepte des 20. Jahrhunderts, während die Geometrie des Ortes in wechselnder Beleuchtung (Raum und Lichtgestaltung: Marc Brodeur) changiert und durch die raffinierten Klangspuren von Jörg Ritzenhoffs Musik ständig neue Dimensionen gewinnt.

Die sieben exzellenten Tänzer proben vereinzelt Bewegungsabläufe, halten ab und zu einen Moment fest wie bei einem Filmstill, wiederholen krampfhaft bestimmte Situationen, finden sich zu Gruppen zusammen und driften ab in Selbstdarsteller-Solos. Eine blonde Frau (hervorragend: die gebürtige Spanierin Imma Rubio) zieht sich ein schwarzes Jackett und High Heels an und wird zur energischen Spielmacherin.

Sie fährt eine Stellwand mit Projektionsflächen durch den Raum, kommentiert das Geschehen und liefert szenische Impulse. Es gibt männlich aggressive Duette und erschöpfte Annäherungsversuche (Alvaro Esteban, Werner Nigg, Andi Xhuma), merkwürdige Irrläufe und originelle Figurenstudien.

Die Tänzerinnen Stéphanie Bayle, Susanne Schneider und Fa-Hsuan Chen untersuchen das Emotionsgebiet, wobei letztere in einer besonders anrührenden Szene, mit verbundenen Augen auf einem Stuhl sitzend, verzweifelt das Wort "I" zu artikulieren versucht. Ist es ein brutales Verhör oder ein qualvolles Liebesgeständnis?

Die Zuschauer erfahren sich als fragende Mit-Akteure, die aus performativen Bruchstücken ein mögliches Drama selbst erfinden dürfen. Als "Outtake" gibt es ein Video, das das Ensemble zeigt im riesigen Bühnenbild-Sarg der Schauspiel-Produktion "Am Katzenmoor" aus der letzten Spielzeit. Da versinken sie im Torf, der jede Bewegung anders definiert als die glatte helle Fläche im Ballsaal.

So wie die Kameras am Bühnenrand immer nur vergrößerte oder reduzierte Augenblicke notieren. Ein spannendes Stück ist "Pieces of me" gleichwohl, wenn auch eins über die mechanische Zerstückelung des Erlebens von Kunst und ihrer Herstellung. Langer, überzeugter Premierenbeifall nach einer schweißtreibenden Stunde, bei der man der harten körperlichen Arbeit der Tänzer beim Entstehen von Imaginationen unmittelbar begegnet.

Nächste Vorstellungen Samstag (19. 10.), danach wieder am 14./15./16. 11., jeweils um 20 Uhr. Kartenbestellungen unter Tel. 0228/7979 01. Weitere Infos unter www.cocoondance.de

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