Wenn einer den Boden unter den Füßen verliert

Der Ungar Peter Tömöry inszeniert Gogols "Tagebuch eines Wahnsinnigen" im Bonner Euro Theater Central

Bonn. Es ist dieser zwischen Hellsicht und dumpfer Verzweiflung irrlichternde romantische Wahnsinn, von dem die 1835 erschienene Novelle des jungen Nikolai Gogol erzählt. Da wird einer verrückt, einfach weil die Welt so ist, wie sie ist. Poprischtschin ist Titularrat, ein kleiner Beamter in den gnadenlosen Mühlen der russischen Bürokratie, der in seiner Schreibstube den Boden unter den Füßen verloren hat.

Peter Tömöry, künstlerischer Leiter des Petöfi Theaters im ungarischen Veszprém, verlässt sich in seiner Inszenierung von Gogols "Tagebuch eines Wahnsinnigen" ganz auf den Text und macht dessen existenzielle Angst durchsichtig für ihre unterschwellige Komik. Bruno Tendera, schmal und mit großen Augen fast kindlich staunend über das, was in seinem verwirrten Kopf mit ihm geschieht, ist ein Poprischtschin irgendwo zwischen E.T.A Hoffmann und Kafka, aus der Welt gefallen vom großen Irrenhaus ins kleine.

Sein Körper scheint ihm fremd geworden zu sein; wie ein Embryo schält er sich aus dem warmen Albtraumuterus in die feindlich kalte Welt, seine löchrigen grünen Socken beschnuppert er wie ein Hund. Wenn die Hunde in einem fantasierten Briefwechsel mehr über die Menschen verraten, als diese selbst von sich wissen, ist das hier nicht nur ein Topos der romantischen Ironie, sondern ein paradoxes Gedankenspiel mit sinnlichen Erfahrungen und Verweigerungen.

Für die steht die Frau (Yasmina Chehili), die als unerreichbare Geliebte, schwarz verschleierte Mutter oder doch bloß verständnisvolle Irrenhauswärterin durch seine Träume geistert. Hinter weichen Gitterstäben lacht sie, zeigt anfangs nur Fragmente von verführerischer Weiblichkeit und taucht dann eher als Bedrohung auf denn als Objekt des Begehrens.

Auf der mit wenigen, genau komponierten Requisiten Zeichen setzenden kleinen Bühne (Ausstattung: Melinda Lörincz) stellt sich die Frage, wer eigentlich eingesperrt ist, und "wo all diese Unterschiede herkommen", die das gesellschaftliche Unten und Oben bestimmen.

Poprischtschin versucht sie aufzuheben, sein Minderwertigkeitskomplex schlägt um in Größenwahn. König von Spanien möchte er sein und am 43. April auf dem Petersburger Newski-Prospekt in Erwartung seiner Delegierten spazierengehen, aber die Frau macht aus seinem schmuddeligen Herrschermantel doch wieder die Zwangsjacke, die ihn vom Leben endgültig trennt.

Man schaut dieser konzentrierten monologisch monomanen Psychostudie zu wie einem naturwissenschaftlichen Experiment im Seziersaal: Ein einsamer Mensch, aufgespießt wie ein Schmetterling, dessen Glieder im tödlichen Paroxismus noch ein wenig zucken. Kopftheater über Sein und Schein, aber glücklicherweise nicht nur pessimistisch.

Die nächsten Aufführungen sind am 23., 24., 26., 27. März und 20., 21. April; Kartenbestellungen unter (02 28) 65 29 51.

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