Tim Bendzko in der Bonner Beethovenhalle "Wenn es romantisch wird, Handy weg!"

Bonn · Ein Selfie muss sein. Das glauben einem ja sonst die Freundinnen nicht. "Was, du und der Tim, wirklich?" Ja, sie hatte es geschafft, er, gerade Dreißig geworden, hatte sie in sein 60er Jahre Wohnzimmer gebeten. So schön plüschig die Atmosphäre und der Tim so nett.

 Die Mädchen mögen ihn: Tim Bendzko gibt in Bonn den Troubadour.

Die Mädchen mögen ihn: Tim Bendzko gibt in Bonn den Troubadour.

Foto: Horst Müller

Gleich hat er die Sektflasche geöffnet. Dass die vollbesetzte Beethovenhalle dabei zusah und das Wohnzimmer auf der Bühne aufgebaut worden war, machte den besonderen Kick aus. Also gleich das Handy auspacken und ein Foto von sich und ihm machen. Er hatte auch nichts dagegen. Nur bei ihrem Vorschlag zu filmen, als er ihr zur Gitarre vorsang, sei er leicht aus der Haut gefahren. "Wenn es romantisch wird, Handy weg!" - hatte er gesagt. Schade auch. Das wäre doch der Hammer gewesen!

Tim Bendzko gibt seit mehr als einem Jahr seine "Wohnzimmerkonzerte". Ohne Schnickschnack will er näher bei den Fans sein, die er in seine Show einbezieht. Das ist nicht ohne Risiko, denn die Reaktionen seiner Zuhörer sind nicht immer berechenbar. So auch an diesem Abend. Sein Gast versteht einfach nicht, die richtigen Worte im rechten Moment zu finden.

Na gut, dann muss es der Keyboarder richten. Tim schmettert "Unter die Haut", das erst dann Schönheit gewinnt, als die Band hinzu kommt. Aber vorher hatte der Troubadour bereits alle Register seines romantischen Könnens gezogen. "Am seidenen Faden", "In dein Herz" und "Das letzte Mal" treffen wunde Seelenzustände. Die Texte sind gerade so ehrlich, dass sie die Untiefen des Schlagers vermeiden. Die Musik hat jenen poppigen Schmelz, der für jedes Formatradio gut passt. Das erklärt den kometenhaften Aufstieg des ehemaligen Theologiestudenten, der junge Mädchen in Scharen nach Bonn zieht. Und wie schön sie singen können! In der Beethovenhalle glaubt man fast, einen eigens bestellten Chor zu hören.

Das Wohnzimmerkonzept funktioniert hier vorzüglich. Die Akustik gibt seinen romantisch- seligen und den luftig leichten, mit Latin-Flair angereicherten Stücken gleichermaßen Raum zum Atmen. Die vierköpfige Band kann sich im Laufe des Konzerts immer stärker in Szene setzen. Ein besonderes Bonbon hat sich Tim Bendzko für jeden Abend ausgedacht: Ein Stück der Setlist haben er und seine Band noch nie gespielt und erst drei Stunden vorher einstudiert. So eifrig wie sein Bassist auf das Notenblatt blickt, muss es wohl wahr sein. Immerhin - seinem Gitarristen fällt zu Herbert Grönemeyers "Flugzeuge im Bauch" das schönste Solo des Abends ein.

"Gut, dass der Herbert das nicht gehört hat!" kommentiert Tim die Coverleistung. Glattes Understatement - das war nicht schlecht. "Besser als Olli P. allemal" - es ist das erste Mal, dass Tim ein wenig böse stichelt. Ein bisschen mehr Biss, weniger Everybody?s-Darling das hätte man sich gewünscht. Bravsein ist irgendwie auch langweilig.

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