70. Geburtstag der Lyrikerin Ulla Hahn Wenn Schönheit die Verzweiflung bannt

Die Liebe ist kein Engelchen mit Flügeln", schreibt Ulla Hahn in ihrem Gedicht "Heller Wahnsinn". Für Deutschlands wohl renommierteste Gegenwartslyrikerin birgt die viel besungene Himmelsmacht oft Höllenqualen, und so endet dieses Gedicht bitter: "Mitunter soll es glücken zu entkommen/ der Freispruch heißt: Ich liebe dich nicht mehr."

 Sie schrieb 700 Gedichte: Ulla Hahn in ihrer Wohnung.

Sie schrieb 700 Gedichte: Ulla Hahn in ihrer Wohnung.

Foto: dpa

Die heute vor 70 Jahren im sauerländischen Brachthausen geborene und in Monheim am Rhein aufgewachsene Autorin hat bislang rund 700 Gedichte veröffentlicht, denen fast immer die Quadratur des Kreises glückt: kunstvoll und doch dechiffrierbar, persönlich und allgemeingültig, schön und klug. Für Ulla Hahn ist dabei klar: "Die gelungene Form verwandelt Trauer und Verzweiflung in Trost."

Zwar konstatiert sie, dass sich Dichtung nicht vom Denken lossagen dürfe, doch gleichzeitig tauft sie 1981 ihren Debütband "Herz über Kopf": ein apartes Wortspiel, aber auch ein poetisches Programm. Gedichte nicht als Geheimsprache der Bessergebildeten, sondern als eine universelle Wortmusik mit traumschönen Harmonien und schneidenden Dissonanzen. Kaum jemand misst den Kosmos des Fühlens so exakt aus wie sie, zwischen Wollust ("Komm beiß dich fest, ich halte nichts vom Nippen") und Verzweiflung "am Grab meiner zinkversargten Liebe".

Früh mustert sich die literarische Einzelgängerin aus der politischen Kampflyrik aus ("Nicht zu gebrauchen"), doch im Spätwerk geißelt sie "globalisierte Raserei" oder weibliche Genitalverstümmelung, gegen die "gutgemeinte Gedichte" nicht helfen. "Liebvaterland"-Pathos bleibt ihr fremd, und doch wehen Volksliedfetzen durch die Verse, in denen indes sogar die Loreley Bankrott macht.

Wie Ulla Hahn wurde, was sie ist, hat sie ihrer literarischen Schwester Hilla Palm anvertraut, der Heldin ihrer rheinischen Romantrilogie ("Das verborgene Wort", "Aufbruch", "Spiel der Zeit"). Wie Hilla als Arbeiterkind in Dondorf (Monheim) heranwächst, wie ihr der Vater die Bildungsflausen gewaltsam austreiben will, wie sie als Mädchen vergewaltigt wird, an diesem Trauma fast erstickt und dann doch in Köln in den wilden Revoltejahren aus der Erstarrung wachgeküsst wird - all das ist packender Entwicklungsroman und pralle Nachkriegschronik zugleich.

"Ich muss das immer neu heraufbeschwören", sagt Ulla Hahn über diese magische Wiederbelebung der Vergangenheit. Im bislang letzten Band (dem noch ein Nachtrag über Hillas/Ullas DKP-Episode folgt) berührt vor allem der späte Friede, den die Heldin mit ihren Eltern schließt, jenen "kleinen Leuten", denen das Leben jeden Hoffnungsfunken ausgetreten hat. Nun ist das heikle Monheimer Zuhause zum "Ulla-Hahn-Haus" geworden, einem Zentrum für Sprach- und Leseförderung.

Hier feiert die mit Hamburgs Ex-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi verheiratete Schriftstellerin am 9. Mai. Gewiss nicht ohne dunklere Gedanken, denn das Gespenst des Alterns spukt lange schon durch ihr Werk. Allerdings gibt es da auch "ein stilles leichtes Glück jenseits von Nichtmehr und Niewieder/ Vorbei Dahin Vorüber..."

Leseempfehlung: Ulla Hahn: Gesammelte Gedichte, DVA, 878 S., 26,99 Euro.

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