Wenn Völkerkunde in Köln zum Abenteuer wird

Vergessen Sie alles, was Sie über Völkerkunde-Museen wissen. Denn am 22. Oktober eröffnet am Kölner Neumarkt etwas ganz anderes: Ein ebenso intelligent wie sinnlich inszenierter Parcours durch die "Kulturen der Welt".

 Der kolossale Stiersarg aus Bali ist ein Schmuckstück der Kölner Sammlung.

Der kolossale Stiersarg aus Bali ist ein Schmuckstück der Kölner Sammlung.

Foto: Museum

Köln. Vergessen Sie alles, was Sie über Völkerkunde-Museen wissen. Denn am 22. Oktober eröffnet am Kölner Neumarkt etwas ganz anderes: ein ebenso intelligent wie sinnlich inszenierter Parcours durch die "Kulturen der Welt", wie das Rautenstrauch-Joest-Museum dann im Untertitel heißt.

Ein Prunkstück thront schon im Erdgeschoss: der mächtige Reisspeicher aus Sulawesi. Er ist das einzige Exponat im großzügigen Foyer und erlaubt an einem verschiebbaren Computerterminal schlaglichtartige Blicke ins Konzept des Hauses. Direktor Klaus Schneider erklärt: "Es erscheint heute unseriös, die Kultur eines Kontinents oder nur eines Landes vollständig zeigen zu wollen. Deshalb behandlen wir Menschheitsthemen wie Wohnen, Rituale, Kleidung oder den Umgang mit dem Tod im Kulturvergleich."

Dank der exzellenten Dauerausstellungs-Szenografie des Stuttgarter Ateliers Brückner "ergibt jedes Thema ein anderes Bild". Das beginnt unten mit Paaren, die sich auf einer Leinwand je nach Kultur höchst unterschiedlich begrüßen. Dann betritt man einen magischen Gamelan-Raum, in dem hinter prachtvollen Instrumenten ein indonesisches Schattenspiel abläuft. Hier sollen etwa Schüler unter Anleitung selbst musizieren dürfen - der Lehrer wird aber noch gesucht. Am Ausgang gibt"s den ersten Wermutstropfen im noblen Neubau des Büros Schneider & Sendelbach: die automatisch öffnenden und schließenden Brandschutz-Türen, die bei regem Besuch meist offen stehen und für Durchzug sorgen dürften.

Unter der Klammer "Die Welt erfassen" wird die Aneignung fremder Kulturen befragt - am Beispiel der reich mit Exponaten bestückten Wohnungen der Völkerkundler Wilhelm Joest (einer der Museums-Paten) und Max von Oppenheim. "Joest hatte den Ansatz, möglichst viele Objekte zu ,retten", weil er glaubte, fremde Kulturen würden durch den Kontakt mit dem Westen untergehen", erläutert Schneider. Der Kollege sammelte wählerischer. Danach prallt der Besucher frontal auf den "Klischee-Container", der multimedial Vorurteil und Wahrheit konfrontiert. Afrikaner sind Kannibalen?

Nun, in deutschen Apotheken wurde bis 1925 "Mumienpulver" verkauft, das aus zerstoßenen ägyptischen Leichen gewonnen wurde... "Wir haben eine Sammlung von 8000 Speeren und anderen Waffen" erklärt der Direktor - doch keine Bange, um enzyklopädische Vollständigkeit geht es hier nicht. Nur eine vergleichsweise kleine Sammlung ist im Obergeschoss komplett ausgestellt und flankiert den spektakulären Yams-Speicher, der dekonstruiert von der Decke hängt und durchs Fenster von außen Neugier weckt.

Die Schau zeigt auf 3600 Quadratmetern, wie verschieden man exotische Fundstücke sehen kann: In neuartigen Vitrinen posieren 50 Spitzenstücke des Hauses als Kunstwerke - und per Handberührung kann man an der Rückwand ein Foto sichtbar machen, das die Werke vor Ort oder in ihrem Kulturkreis zeigt. "Alle Exponate im Haus mussten gesäubert, viele eigens restauriert werden", erklärt Schneider, während wir aufs Herz des Museums zusteuern. Die Sektion "Die Welt gestalten" beginnt mit dem "Wohnen". Von Lüstern illuminierter Zentralraum ist ein europäischer Salon, von dem sich weitere "Zimmer" erschließen:

ein Tipi der Blackfoot-Indianer, ein Wüstenquartier der Tuareg oder das Männerhaus aus Ozeanien stehen handgreiflich vor den Besuchern. Zwei Audio-Führungen für Erwachsenen und eine für Kinder klären Hintergrunde, die kleinen Besucher können zudem an gekennzeichneten Punkten selbst forschen. Vieles wird interaktiv gelöst, der riesige Globalisierungs-Tisch entblößte bei der Vorbesichtigung noch seine technischen Eingeweide. Einer der schönsten Räume ist dem "Körper als Bühne" gewidmet. Feine, elegant gebogene Gazevorhänge modellieren dämmrige Kabinette, in denen Kleidung als soziales Statuszeichen vorgeführt wird.

Glanzstück hier: ein prachtvoller Federmantel aus Hawaii. Ebenso virtuos ist "Der inszenierte Abschied" gestaltet: Von weißen Fadenvorhängen wird ein lichter Raum gesäumt, denn, so Schneider, "in 80 Prozent der Weltkulturen ist Weiß die Farbe von Tod und Trauer". Man bestaunt das Totenboot der Maori (neben Reisspeicher und Männerhaus eines der drei Exklusivstücke des Hauses) oder den kolossalen Stiersarg und den Verbrennungsthron aus Bali, ärgert sich aber mit dem Direktor über zu kleine Beschriftungstafeln. "Das war anders bestellt und muss geändert werden."

Ansonsten war die lange Wartezeit durch etliche Bauverzögerungen insofern ein Segen, "als wir unser Konzept immer noch nachjustieren konnten. Nun aber ist ein Punkt erreicht, wo wir uns nur noch auf die Eröffnung freuen". Dass man im Kapitel Religion zwar Hinduismus und Buddhismus, mangels eines (vergeblich beantragten) Experten nicht aber den Islam zeigen kann, sieht Schneider als Manko. "Wir hoffen aber auf eine große Sonderausstellung mit dem Topkapi-Museum in Istanbul."

Im Kapitel "Rituale" birgt eine 100 000 Euro teure Riesenvitrine aus gebogenem und entspiegeltem Glas spektakuläre Masken, und am Ende des aufregend-anregenden Rundgangs kämpfen auf Bali Gut und Böse bis zum beruhigenden Ausgleich miteinander. In diesem Einklang sollen die Besucher die Schau verlassen, wobei Klaus Schneider auf einen erklecklichen Zuwachs hofft: "Im Altbau hatten wir etwa 40 000 pro Jahr, hier rechne ich schon mit 100 000." Und die werden fasziniert sein.

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