Der mit den Pinseln tanzt Werke von Max Ernst und Hann Trier im Kunstmuseum Bonn

Bonn · Das Kunstmuseum Bonn meldet sich mit Werken von Max Ernst und Hann Trier aus der Sammlung Gisela und Wilfried Fitting zurück. Die Präsentation der Ausstellung und des exzellenten Katalogs der Sammlung waren die ersten Opfer Museen-Lockdowns.

Hann Trier: „Radfahren“, 1951, Eitempera auf ungrundierter Leinwand.

Hann Trier: „Radfahren“, 1951, Eitempera auf ungrundierter Leinwand.

Foto: David Ertl

Er kommt in ein sehr kultiviertes Haus – an Plastik außer Arp wenig, aber die Wände hängen voller bester Ernste“: Messerscharf und mit den Augen der Kennerin hatte Eva Stünke, Inhaberin der Kölner Galerie „Der Spiegel“ 1983 nicht nur das Sammlerpaar Gisela und Wilfried Fitting mit einem Wort beschrieben – kultiviert –, sondern auch den Kern der Sammlung erkannt: Erlesenes von Max Ernst, frühe Gemälde und Frottagen. 42 Werke des Surrealisten befinden sich in dieser Sammlung mit  insgesamt 200 Arbeiten von 32 Künstlern von Eduardo Chillida bis Antoni Tàpies, Pablo Picasso bis Meret Oppenheim, Ernst Wilhelm Nay, Henry Moore, Hann Trier und Rosemarie Trockel, um nur einige aus der Liste zu nennen.

Seit den frühen 1960er Jahren kauften der Kölner Mediziner und seine Frau Kunst, zunächst Arbeiten von Ernst, Klee und Jawlensky, die bei Hein und Eva Stünke erworben wurden. Die Kreise wurden größer, die Ankäufe mutiger, auch Zeitgenossen rückten ins Visier. Bis zum Tod Gisela Fittings im Jahr 2004 wuchs die Sammlung. 2012 starb Wilfried Fitting. Noch 2009 hatte er ein wichtiges Signal gesetzt: Er schenkte dem Kunstmuseum Bonn Max Ernsts Aquarell „Von der Liebe zu den Dingen“ (1914). Prominenter Vorbote für die Übergabe der gesamten Sammlung Fitting an das Kunstmuseum als Dauerleihgabe im Juni 2017.

Erste Corona-Opfer

Eine erste Präsentation bot 2017 einen breiten Überblick über die Fitting-Werke und die Erkenntnis, dass es einerseits viele Anknüpfungspunkte zu den Beständen des Hauses gibt, die Dauerleihgabe andererseits empfindliche Lücken schließt. Aktuell zeigt das Museum gewissermaßen eine Tiefenbohrung, konzentriert sich auf Malerei von Max Ernst und Hann Trier. Die Präsentation der Ausstellung und des exzellenten, von Nicole Hartje-Grave bearbeiteten Katalogs der Sammlung, waren die ersten Corona-Opfer des Lockdowns der Museen.

Umso wichtiger, dass die Ausstellung jetzt beim Neustart zu sehen ist. Nicht ganz so, wie es im Katalog sehr schön dokumentiert ist, denn die Fittings lebten buchstäblich mit ihrer Kunst, die überall in ihrem Haus hing. Max Ernsts „Forêt et soleil“ (1956) etwa im  Wohnzimmer links über dem Kamin, Hann Triers monumentale „Lichtung“ (1961) um die Ecke von dessen „Spiegelzerbrechen I“ (1953) im Treppenhaus und Triers „Soledad I“ (1958) überm Bett. Nun hängen viele dieser Arbeiten von Ernst und Trier im nüchternen Museumsraum, nicht weit weg von August Macke und der verlängerten Ausstellung „paintprintpaint“ von  Martin Noël.

Max Ernst: „Jeune femme à la fenêtre“,1958.

Max Ernst: „Jeune femme à la fenêtre“,1958.

Foto: Kunstmuseum/David Ertl

Konzentrat von Max Ernst

Der „ganze Ernst“ stecke im Gemälde „Forêt et soleil“, liest man 1967 in einem Brief Eva Stünkes an die Fittings, in dem sie das Bild anpreist. „Es enthält eigentlich den ganzen Max Ernst, den Romantiker, den Mann der Histoire naturelle mit seinen Techniken Collage und Frottage. Das Ganze ist in seiner so sorgfältigen Manier ineinander verarbeitet“, schreibt die Stammgaleristin der Fittings über dieses „Konzentrat von Max Ernst“. Der Preis sei „vernünftig“: 68 000 DM. Die Fittings schlugen zu.

Es ist ein geheimnisvolles Bild, das jetzt im Kunstmuseum hängt: Drei deutlich gemaserte Bretter öffnen sich nach oben zu einem tiefschwarzen Nachthimmel und einem blauen Mond. In der kleinen Ausstellung trifft das Bild von Max Ernst (1891-1976) etwa auf „Tremblement de terre“ (1925), das erkennbare Folgen der Frottage genannten Durchreibetechnik zeigt: Spuren von Holzmaserungen sind zu sehen, darüber eine tiefblau Wasserzone, eine aufbrechende Erdschicht und ganz oben ein fahler Himmelsstreifen. Ebenfalls 1925 kratzte Max Ernst mit zwei Kämmen in die noch feuchte Farbe von „Das tiefe Meer“.

Neben Zufallsstrukturen, wie sie durch die Frottage oder Kratztechnik entstehen, fesselte Max Ernst die mythische Figur des Vogels, der für ihn selbst als „Loplop“ oder „Schnabelmax“ zum Alter Ego wurde. In der Ausstellung ist etwa „Projet pour un monument des oiseaux“ (1927) zu sehen: Ein bizarr zusammengeklumpter Vogel erhebt sich gleichwohl in den Nachthimmel. „Quelques fleurs“ ist ein Bild von 1927 betitelt, in dem zwei zauberhafte, fein geäderte Seerosen auf einem schwarz-orangenen Fond schwimmen.

Einen ganz anderen Max Ernst lernt man in dem späteren, heiteren Porträt einer „Jeune femme à la fenêtre“ (1958) kennen, deren verschmitzter Gesichtsausdruck aus nur wenigen Strichen besteht. Das Spätwerk „Jerusalem“ (1962) eine Erinnerung an die frühere Serie der versteinerten Städte und einige Bronzen – „La belle Allemande“ und Masken – runden dieses hochkarätige Max-Ernst-Porträt ab.

Triers Anfänge in Bornheim

Zu Hann Trier (1915-1999), der den zweiten Teil der Ausstellung bestreitet,  hatten die Fittings ein freundschaftlich enges Verhältnis. 1961 hatte das Sammlerpaar sein erstes Bild gekauft, „Lichtung“, ein Werk  des damals noch nicht sehr bekannten Malers. 20 weitere Trier-Werke folgten in den nächsten Jahrzehnten. In der Ausstellung ist das bemerkenswerte, in Bornheim bei Bonn entstandene Frühwerk „Harfenspiel“ von 1948 zu sehen, das deutlich die Einflüsse der Kubisten Juan Gris und Georges Braque zeigt. Aber schon das zwei Jahre später entstandene „Stundenglas/Sanduhr“ verrät charakteristische Züge Triers: Die kräftige, dynamische, gestische Linie, die den Farbflächen Struktur und Halt gibt. Auch das 1951 entstandene „Radfahren“ lässt noch Spuren von Gegenständlichkeit erkennen.

Sprung nach Kolumbien

Bald darauf ein künstlerischer und geografischer Sprung: In Kolumbien wird der Strich Triers filigraner, nervöser, hellt sich die Palette auf. Dann tritt in „Nervensäge“ die gezackte Linie auf und findet der Jazz Ende der 1950er Jahre Einzug in die Bildwelt des Malers („The Drive“, „Soledad I“). Mit den hochkomplexen, gitter- und geflechthaften Kompositionen „Soledad I“ und „Lichtung“ und deren aufgehellten Hintergründen befindet sich Trier im Zenith seiner Karriere. Er malt beidhändig mit Schwung und Gegenschwung. „Ich tanze mit den Pinseln, und gut getanzt zeigt Tanz nicht nur Bewegung und Rhythmus, sondern auch das Ergebnis des Schwerelosen“, sagte Trier 1972. Rührender Schlusspunkt dieser spannenden Auswahl ist das Bild „Für Gisela“, eine Hommage an die Sammlerin: Als Farbe ein duftiges, helles Blau, Geste und Auftrag leicht, schwungvoll und transparent. Hartje-Grave schreibt im Katalog: „Die Anordnung der Farben und ihr flüchtiger Auftrag evozieren den Effekt optischer Bewegung und bringen das Moment der Bewegung zum Tragen.“

Kunstmuseum Bonn, Di bis So 11-18, Mi 11-21 Uhr. Katalog: „Von Max Ernst bis Eduardo Chillida. Die Sammlung Wilfried und Gisela Fitting“, Bearbeitet von Nicole Hartje-Grave. Wienand, 424 S., 49,80 Euro. Weitere Ausstellungen: „Candice Breitz: Labour“ bis 2. August verlängert; „Martin Noël. paintprintpaint“, bis  13. September  verlängert; „Nur nichts anbrennen lassen“ ab Juni.

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