Kino: "Elser - Er hätte die Welt ändern können" Wie ein Harmloser radikal wird

Mit wunden Knien hockt er auf dem Boden, schiebt schwer atmend die Dynamitstangen ins Gemäuer und programmiert den Zeitzünder. Georg Elser macht alles richtig, die Bombe detoniert am 8. November 1939 minutengenau um 21.20 Uhr im Münchner Bürgerbräukeller. Doch unter den acht Toten ist eben nicht Adolf Hitler. Der "Führer" musste seine Reisepläne ändern, sprach kürzer als geplant und entging dem Attentat um 13 Minuten.

 Vorbereitung fürs Attentat: Christian Friedel als Georg Elser.

Vorbereitung fürs Attentat: Christian Friedel als Georg Elser.

Foto: Lucky Bird Pictures

So genial der gelernte Schreiner (und zeitweilige Uhrmacher) Elser seine explosive Maschine konstruiert hatte, so dilettantisch verwischt er seine Spuren. Noch in der Tatnacht wird er verhaftet, schweigt anfangs eisern. Man schnallt ihn bäuchlings auf ein stählernes Bettgestell, unter das eine Blechschüssel geschoben wird.

Gestapo-Chef Heinrich Müller und Reichskriminalpolizei-Chef Arthur Nebe wissen, dass sich die Häftlinge unter der Folter erbrechen. Und mit dem auf den Gang geschickten Protokollfräulein hören wir immer wieder barsche Fragen ("Name? Geburtsdatum?"), dann Schweigen, Schläge und Schreie.

Die viertägigen "Verhöre" in Berlin sind gewissermaßen die blutigen Korsettstangen in Oliver Hirschbiegels Film "Elser - Er hätte die Welt ändern können", der morgen ins Kino kommt. Dazwischen blickt der einschlägig erfahrene Regisseur ("Der Untergang") auf das Vorleben dieses Helden im Konjunktiv.

Der Widerstandskämpfer ist dem unehelichen Kind nicht an der Wiege gesungen. Er musiziert gern, hat Schlag bei den Mädchen und genießt das Baden im Bodensee. Im schwäbischen Königsbronn hilft er der Mutter, die der versoffene Stiefvater mit in den Ruin zu reißen droht. Elser flirtet mit den Kommunisten, doch noch als die SS nach Angehörigen des Attentäters sucht, meint der NSDAP-Ortsgruppenleiter: "Die Elsers sind doch harmlos."

Dass die Radikalisierung eines Harmlosen hier unforciert glaubhaft wirkt, hat zwei Gründe: Einerseits zeigt Hirschbiegel den inneren Vormarsch der Nazis mit gezielten Schlaglichtern als braune Heimatvergiftung. Wie sie erst im Wirtshaus mit ihrem Wahlsieg protzen, dann die Kommunisten denunzieren, das Erntedankfest zur völkischen Feier verzerren und schließlich die arme Lore wegen ihrer jüdischen Freunde an den Pranger stellen.

Zum anderen wirkt Christian Friedels Elser (anders als Klaus Maria Brandauers hermetischer Mann in "Georg Elser - Einer aus Deutschland") wie ein ganz normaler junger Mann, der all diese Schikanen eben nur so lange erträgt, bis er partout kein Mitläufer mehr sein kann.

Der Film maßt sich nicht an, den letzten Auslöser der Tat zu kennen, aber er zeichnet das genaue Protokoll einer Gemütsverfinsterung. Man versteht Elser, der für die Machthaber unbegreiflich bleibt. Mit glühenden Metalldornen wollen sie aus ihm herausfoltern, dass er Mitverschwörer gehabt habe, weil ein Einzeltäter sich schlecht mit Hitlers Größenwahn verträgt.

Bei diesen Torturen schont Hirschbiegel sein Publikum nicht und erlaubt sich doch ein nuanciertes Bild der Peiniger. Ist Müller der Scharfmacher, so zeigt Nebes Systemtreue zumindest Haarrisse. Burkhart Klaußner verkörpert ihn brillant, den stiernackigen Schergen, den Elsers Satz: "Wenn der Mensch nicht frei ist, stirbt alles" ins Mark trifft.

Nebes qualvoller Tod durch Erhängen tritt denn auch im Finale an die Stelle von Elsers Ende: Als Hitlers "persönlicher Gefangener" wird er kurz vor der Befreiung von Dachau erschossen. In der Geschichte des Widerstands blieb er stets in Stauffenbergs Schatten, aus dem Georg Elser jetzt pünktlich zum 70. Todestag wenigstens im Kino heraustritt. Kinopolis, Stern

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Hits und Fundstücke
Geschenktipp der Feuilletonredaktion Hits und Fundstücke
Aus dem Ressort
Wucht und Innigkeit
Brahms' "Deutsches Requiem" in der Bonner Beethovenhalle Wucht und Innigkeit