Zum 100. Geburtstag Willy Brandt - Der Mensch hinter der Rolle

Bonn · Der Steidl-Verlag gibt zum Jubiläum "Eine Hommage in Bildern" heraus. War er ein Womanizer oder flogen ihm die Frauenherzen einfach so zu? Eines der wunderbarsten Fotos von Robert Lebeck zeigt Willy Brandt 1973 im Waggon eines Sonderzuges durch Deutschland. Der Bundeskanzler ist gut drauf, lächelt, gestikuliert.

Perspektiven auf Willy Brandt: Beim Empfang des britischen Premierministers Harold Wilson, 1970 (Fotograf: Max Scheller).

Perspektiven auf Willy Brandt: Beim Empfang des britischen Premierministers Harold Wilson, 1970 (Fotograf: Max Scheller).

Foto: Steidl

Sein schelmischer (?) Blick heftet sich auf eine junge Frau jenseits des Ganges, die Brandts Kontaktaufnahme interessiert erwidert. Lebecks Foto erzählt eine Geschichte, birgt vielleicht ein Geheimnis. Auf jeden Fall ist es auch 40 Jahre später immer noch eine ungemein frische, unglaublich spontane Momentaufnahme eines sympathischen Menschen. Dass der auch ganz anders wirken konnte, unnahbar melancholisch in die Ferne, auch mal mürrisch blickend, genervt, mit einer Körpersprache, die alles verrät, zeigt eine "Hommage in Bildern", die der Steidl-Verlag herausgebracht hat.

Vier Fotografen aus der ersten Liga, Volker Hinz, Thomas Hoepker, Robert Lebeck und Max Scheler, alle irgendwann bei der damals noch als beste Adresse für Reportagefotografie geltenden Illustrierten "Stern" gelandet, zeigen ihren Blick auf Brandt. Herausgekommen ist mehr als eine bewundernde Hommage. Es ist ein facettenreiches Panorama mit vielen Höhen und Tiefen eines Politikerlebens, das Porträt einer der bedeutendsten Figuren der deutschen und vielleicht internationalen Politik. Willy Brandt, der heute hundert Jahre alt geworden wäre, zählt sicherlich zu den meist fotografierten Protagonisten der Nachkriegszeit.

Bei den Fotos, die in dem "Hommage"-Band vereinigt sind, fällt auf, dass sie kaum inszeniert wirken und dass jedes eine Geschichte erzählt. Die Mühen der Ebene etwa scheinen für Brandt kein Problem gewesen zu sein. Der Fotograf zeigt einen höflich lächelnden Brandt, der vor seiner Rede in einem Altenheim eine Kaffeetafel mit Seniorinnen abschreitet - im Hintergrund eine zeittypisch scheußliche Tapete. Hoepker zeigt den Wahlsieger Brandt 1972 entspannt auf dem Sofa - vor ihm ein Monopoly-Spiel mit dem sich der Sozialdemokrat die Wartezeit verkürzt hat. Kontrastprogramm: Hinz' Bild des zurückgetretenen und innerlich vollkommen weggetretenen Kanzlers im Mai 1974, der nicht mehr mitkriegen will, wie Herbert Wehner auf ihn einredet.

Max Scheler ist es gelungen, die Person aus dem Politiker-Image herauszuschälen. Er zeigt den Amtsträger, der mit stoischer Miene das Protokoll erfüllt, die staatsmännische Rolle spielt, und den Privatmann, der sich dahinter verbirgt. Eine schöne Studie aus fünf Porträts, offensichtlich von Brandt unbemerkt beim SPD-Parteitag 1973 in Hannover aufgenommen, dokumentiert Brandts wache Mimik. Unverhohlenes Interesse spricht aus seinen Augen, als er, stilsicher im Smoking, 1970 in der Londoner Downing Street No. 10 auf die ätherische Schönheit Petula Clark trifft.

In dem Fotografenquartett ist Lebeck sicherlich der, der Brandt am nächsten kam, zum Beispiel in Norwegen, als die Brandts 1973 mit Guillaume urlaubten. Unergründlich etwa Brandts Blick, als der damals noch nicht aufgeflogene Spion Ruth Feuer gibt. Was denn das Besondere an den Brandt-Fotos sei, fragt sich der "Stern"-Journalist Hans-Hermann Klare im knappen Nachwort zu diesem Fotoband: "Sie wecken unsere Sehnsucht nach einer Welt, in der wir selbst in den Medien noch ahnten, dass es spannendes Leben auch außerhalb der Medien gab. In der die Wirklichkeit und ihre mediale Aufbereitung nicht so miteinander verwoben waren."

Info

Willy Brandt. Eine Hommage in Bildern. Steidl, 207 S., 20 Euro

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