Interview mit Richard David Precht "Wir brauchen nicht nur Wirtschaftsweise"

Der 1964 geborene Philosoph und Publizist Richard David Precht legt mit "Erkenne die Welt" den ersten Band einer dreiteiligen Philosophiegeschichte vor.

 Er wünscht sich mehr Intellektuelle mit öffentlicher Wirkung: Richard David Precht.

Er wünscht sich mehr Intellektuelle mit öffentlicher Wirkung: Richard David Precht.

Foto: Amanda Berens

Auf Seite 422 Ihres aktuellen Buchs beschreiben Sie Mohammed nicht nur als Religionsstifter, sondern auch als Kriegsherrn, der Karawanen überfiel und Mekka eroberte. Ist unsere Sicht eines prinzipiell friedlichen und nur von Extremisten missbrauchten Islams also ein wenig naiv?
Richard David Precht: Zumindest ist sie einseitig. Betrachtet man den Gründungsakt einer Religion und ihre nachfolgende Geschichte, kommt man bei Christentum und Islam zu einem paradoxen Schluss: Beim Christentum steht anfangs mit Jesus ein Apostel des Friedens, der - unabsichtlich - eine der brutalsten Religionsgemeinschaften begründete, die die Welt je gesehen hat. Bei den Muslimen ist aus einer Kriegsreligion, von der sich der "Islamische Staat" gar nicht so weit entfernt hat, trotz enormer Eroberungsfeldzüge bald eine relativ tolerante Religion geworden. Man muss daraus keinen Wettkampf machen, aber unterm Strich steht das Christentum blutiger da.

Kann man einem Phänomen wie dem "IS" überhaupt mit philosophischem Besteck zu Leibe rücken?
Precht: Etwas Hochintelligentes ist mir dazu bisher nicht eingefallen. Dass Menschen, die zu wenig Anerkennung bekommen, verführbar sind, zu Terroristen zu werden - davon ist die Geschichte voll. Ob man solche Menschen links oder rechts rekrutiert, für den "IS" oder den Terrorismus der 70er: Man findet solche Zukurzgekommenen immer, die in pathetischer Selbstüberhöhung glauben, eine Heldentat zu begehen. Wobei sie von Leuten verführt werden, die intelligenter sind als sie.

Am Ende dieses ersten Bands muss sich Wilhelm von Ockham im 14. Jahrhundert gegen den Vorwurf der Ketzerei verteidigen. Wie ist Ihr Verhältnis zur Religion?
Precht: Ich unterscheide sehr stark zwischen Glaube und Religion. Auch die intelligentesten Philosophen des Mittelalters - Dietrich von Freiberg, Meister Eckhart, Cusanus -- haben versucht, Spiritualität von den weltlichen Umständen zu trennen, die Religion ausmachen. Ich könnte mich nicht zu einer Religion bekehren. Aber meine Rationalität kann die Welt nicht erklären. Die großen Fragen wie "Warum gibt es alles und nicht nichts?" bleiben religiöse Fragen. Und auch der Atheismus, der etwas zu wissen glaubt, was er nicht wissen kann, ist für mich eine Religion, die ich ablehne. Denn jemand wie Richard Dawkins ("Der Gotteswahn") ist gewissermaßen ein Mullah des Atheismus. Deshalb bin ich Agnostiker, der im sokratischen Sinne weiß, dass er nichts weiß.

Im Kapitel über die Epikuräer kommt die Unterscheidung von akademischen Philosophen und "Ratgebern" vor. Sehen Sie die Kluft heute noch?
Precht: Wir haben heute eine hoch elaborierte Hochschulphilosophie, die in der breiten Öffentlichkeit überhaupt nicht wahrgenommen wird, daneben ein Riesenheer trivialer Ratgeberliteratur. Und dann gibt es den öffentlichen Intellektuellen, jedoch in Frankreich, Holland und England sehr viel häufiger als bei uns. Dabei besteht ein gesellschaftliches Grundbedürfnis nach diesen Intellektuellen, deren Rolle sonst nur von Ratgebern oder Ökonomen ausgefüllt wird. Nichts gegen Wirtschaftsweise, aber so etwas wie die Digitalisierung ist eine enorme Herausforderung, die man nicht nur ökonomisch betrachten darf.

Nun sind Sie ein sehr erfolgreicher Philosoph mit einigen Neidern. Von denen argwöhnen manche, sie wollten sich mit dieser Philosophiegeschichte aus dem Philotainment herausschreiben...
Precht: Das ist ein deutsches Phänomen. Ich hatte vor "Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?" fünf Bücher geschrieben, und "Wer bin ich..." war ein Einführungsbuch für Jugendliche. In Deutschland neigt man dazu, etwas bewusst einfach Geschriebenes mit dem Horizont des Autors zu verwechseln. Es gibt hierzulande unter Intellektuellen eine Hengstbissigkeit, mit der ich aber gut leben kann.

Und was war nun Ihre Motivation für das aktuelle Buch?
Precht: Lust!

Obwohl es doch schon viele Philosophiegeschichten gibt?
Precht: Ich wollte eine Philosophiegeschichte schreiben, die ich als Student gern gelesen hätte: also erzählerischer, besser geschrieben, mit stärkerer Betonung der Ideen gegenüber den Personen. Dazu wollte ich ein Netz auswerfen, das immer schon die Zukunft mit der Vergangenheit verknüpft und eine Bewertung aus heutiger Sicht hinzufügt. Da sieht man etwa, dass die Lehre der Stoiker mit der Quantify-Self-Bewegung verwandt ist. Denn sich selbst zu perfektionieren, enthält immer ein asoziales Element.

Sie wandern in drei Bänden durch die Philosophiegeschichte. In welcher Epoche hätten Sie am liebsten gelebt?
Precht: Philosophen hatten ja nur in drei Phasen Macht: in der attischen Demokratie, dann am stärksten im Mittelalter, wo sie zwar Angestellte der Kirche, aber eben auch wie Thomas von Aquin gewissermaßen Philosophenkönige waren. Und das letzte Mal in der Aufklärung, als sie die bürgerliche Gesellschaft vorbereitet haben. Diese Gelehrten waren in Naturwissenschaft, Wirtschaft und Geisteswissenschaften beschlagen: Nachts die Sterne beobachten, am Tag über Ökonomie nachdenken und abends Moralphilosophie entwickeln - das wäre meine Zeit gewesen.

Richard David Precht: Erkenne die Welt. Eine Geschichte der Philosophie I. Goldmann, 576 S., 22,99 Euro.

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