Interview mit Ilona Schmiel "Wir brauchen Orte der Identifikation"

Mit dem fulminanten Abschlusskonzert des Beethovenfestes 2013, das am Samstag vom London Symphony Orchestra unter Leitung von Daniel Harding gestaltet wurde, verabschiedete sich nach zehn Jahren Ilona Schmiel als Intendantin des Bonner Festivals. Mit ihr sprach Bernhard Hartmann.

"Die Kultur muss immer kämpfen": Ilona Schmiel in ihrem Büro.

"Die Kultur muss immer kämpfen": Ilona Schmiel in ihrem Büro.

Foto: Barbara Formmann

Hinter Ihnen liegt das letzte Beethovenfest Ihrer Intendanz. Welche Gefühle bewegen Sie?
Ilona Schmiel: Erst einmal die Wehmut. Das geht einem schon nahe, wenn die Menschen auf einen zukommen und sich bedanken. Und es stehen jetzt so viele Abschiede an. Das ist nicht einfach.

In vielen Konzerten haben sich Künstler bei Ihnen bedankt. Welche Begegnung hat Sie während Ihres letzten Beethovenfestes besonders berührt?
Schmiel: Eigentlich alle. Ich nehme da keinen aus. Manche sind sehr direkt und sehr persönlich wie Martin Grubinger beispielsweise, was ja auch damit zu tun hatte, dass seit seinem ersten Auftritt 2006 beim Beethovenfest, als ihn noch kaum jemand kannte, so viel für ihn passiert ist. Besonders berührend waren die Zugaben beim Abschlusskonzert: von Christian Tetzlaff Beethovens Violinromanze Nr. 2 und die vom Beethovenfest Team organisierte Zugabe der Ode an die Freude. So etwas macht einen schon glücklich. Es entschädigt für viele Dinge, die in den letzten Jahren Zeit und Kraft gekostet haben.

Die Nachricht, dass Sie Bonn verlassen würden, kam 2012 zu einem Zeitpunkt, als die Stimmung in der Bonner Kultur ohnehin nicht gut war. Die Diskussion um eine Opernfusion mit Köln war ebenso Tagesthema wie die Debatte um Sport und Kultur. Wie schätzen Sie das heute ein?
Schmiel: Die Kultur muss immer kämpfen. Sie darf da nie nachlassen. Die Erfahrung der letzten zehn Jahr zeigt, dass es immer Wellenbewegungen sind. Als ich 2003 hier mit den Vorbereitungen begann, habe ich einen enormen Aufwärtstrend gespürt, eine ganz große Offenheit und intensives Miteinander, auch aller Kulturinstitutionen. Die Positionierungskämpfe sind bei knapper werdenden Kulturetats leider intensiviert worden. Auch wenn es nachvollziehbar ist, wenn jeder zu retten versucht, was zu retten ist. Meine Philosophie war immer, andere Kulturinstitutionen - auch die der freien Szene - mit zu unterstützen. Wir haben in diesem Jahr erstmals mit dem Kunst!Rasen kooperiert. Bei dem Konzert haben beide Seiten Geld investiert. Mir war es immer wichtig, ganz viele an Bord zu holen. Der Kulturkosmos, den wir in dieser Stadt haben, kann nicht aufrecht erhalten werden, wenn wir nicht alle an einem Strang ziehen. Ich bin der Meinung, dass wir eine starke politische Führung brauchen, die unterschiedliche Interessengruppen vereint und Ziele definiert.

Ist die politischen Führung in Bonn genügend erkennbar?
Schmiel: Mir reicht es noch nicht aus. Ich bin der Meinung, das Ziele und die dazugehörigen Visionen nur dann sinnvoll und haltbar sind, wenn es konkrete Zeitpläne gibt. Nur so kann man für die großen Institutionen ebenso wie für die kleineren ein Stück weit Verbindlichkeit schaffen. Es geht nicht nur um Geld, sondern auch um Instandhaltung von Gebäuden und Spielstätten und die dortigen Probenbedingungen.

Bei seiner Eröffnungsrede zum Beethovenfest hat der OB das Jahr 2027, also Beethovens 200. Todestag, statt des 250. Geburtstags 2020 für eine Fertigstellung des Festspielhauses ins Spiel gebracht. Was halten Sie davon?
Schmiel: Todestage sind lange nicht so attraktiv wie Geburtstage.

Werden am Ende die Gegner oder die Befürworter eines Festspielhauses sich durchgesetzt haben?
Schmiel: Lassen Sie es mich so sagen: Ich wünsche der Stadt und allen Beteiligten, die sich jahrelang für die Realisierung des Festspielhauses eingesetzt haben, dass es gelingt. Aber das ist nur möglich, wenn es diesen unbedingten Willen dazu gibt. Und der muss sich auch politisch manifestieren. Es reicht nicht zu sagen, "vielleicht schaffen wir es" - dieses "vielleicht" ist schon eine Einschränkung. Eine Planung mit verbindlichen Fristen hilft auch denjenigen, die jetzt versuchen, Geld zu akquirieren. Es immer weiter hinauszuschieben, macht das Projekt für diejenigen, die es fördern sollen, sicher nicht attraktiver.

Das heißt, wenn sich 2027 als neues Datum etablieren sollte, wird es schwierig für Unterstützer wie Wolfgang Grießl und seine Initiative "5000 Mal 5000 für Beethoven", seine Leute beieinander zu halten?
Schmiel: Wenn man es bis 2020 nicht schaffen kann, sollte man nicht aufgeben. Aber es ist sehr schwer, von 2013 bis 2027 eine Spannung aufrecht zu erhalten. Das haben wir ja bereits 2010 gesehen, als das Projekt vorerst auf Eis gelegt wurde. Da ist unglaublich viel Energie verloren gegangen, auch wenn es danach gelungen ist, das Festspielhaus wieder auf die Spur zu bringen. Natürlich polarisiert solch ein Projekt, aber es wird - wenn es erst einmal eröffnet ist - auch viele Menschen positiv für sich einnehmen, die vorher gar nicht wussten, was ihnen gefehlt hatte. Wir brauchen im 21. Jahrhundert Orte der Identifikation, wir brauchen sie in einer total globalisierten Welt mehr denn je.

Die Beethovenhalle wird ja demnächst saniert...
Schmiel: ... das muss sein. Denn auch hier gilt: Es ist entschieden worden, dass sie stehen bleibt, und dann muss etwas Gutes mit ihr geschehen, verbindlich und in einem klar definierten Zeitrahmen. Die Beethovenhalle muss bis 2020 als Alternative funktionieren, wenn ein Festspielhaus zu diesem Zeitpunkt nicht zur Verfügung steht.

Sie haben sich ja bereits das WCCB als Ersatzspielstätte für die Beethovenhalle sehr genau angeschaut. Ist die aus öffentlichen Mitteln zu bezahlende Ertüchtigung zum Konzertsaal gut investiertes Geld?
Schmiel: Niemand weiß ja, welchen Bedarf es in der Zukunft für große Konferenzsäle geben wird. Schon deshalb ist die möglichst große Flexibilität eines Saals immer wertvoll - nicht nur im Hinblick auf Konzerte. Hier geht es um ein Gebäude, das eine lange Nutzungsdauer vor sich hat.

Mit 75 000 Besuchern sind 2013 mehr Menschen zum Beethovenfest gekommen, als jemals zuvor. Dennoch: In der ersten Festivalhälfte waren viele Konzerte in der Beethovenhalle bei Weitem nicht ausverkauft.
Schmiel: Wir haben sehr viel mehr angeboten, als in den letzten Jahren, und wenn wir dann bei 82 Prozent Auslastung landen, bleiben bei einem 1600 Besucher fassenden Saal eben 300 Plätze frei. Und die sieht man.

Wäre es dann nicht besser, das Angebot ein wenig zurückzufahren, um diese sichtbaren Lücken zu schließen?
Schmiel: Das Motto des Beethovenfestes war in diesem Jahr die Verwandlung. Das heißt auch auszuprobieren, wo die Grenzen sind. Auslastung ist für mich nicht das wichtigste Kriterium. Dann könnten wir beispielsweise in der Bundeskunsthalle moderne Komponisten wie Cerha, Rihm und Kurtág nicht spielen. Dennoch war es ein wunderbarer Abend. Auch andere Konzerte speziell mit neuer Musik waren nicht ausverkauft. Aber es ist besonders wichtig, dieses Repertoire zu präsentieren. Ebenso die neue, wie ich finde, sehr gelungene Inszenierung von George Benjamins "Written on Skin" in der Oper. Aber es ist nicht leicht, mit solchen Werken Bestmarken bei der Auslastung zu erreichen.

Was wünschen Sie dem Beethovenfest für die Zukunft?
Schmiel: Dass es immer ein lebendiger Ort der Auseinandersetzung bleibt und weiterhin begeistert und polarisiert.

Werden Sie mit dem Tonhalleorchester, das sich mit bemerkenswerten Beethoven-Interpretationen hervorgetan hat, wieder nach Bonn kommen?
Schmiel: Ich hoffe es. Das liegt im Moment zwar nicht an mir, aber ich werde es natürlich versuchen. Es wäre eine neue Perspektive für mich - und ein Debüt. Das Orchester war ja noch nie hier.

Zur Person

Im Jahr 2004 übernahm Ilona Schmiel die Intendanz des Beethovenfestes Bonn von Franz Willnauer. Zuvor war die 1967 in Hannover geborene Kulturmanagerin Chefin des Bremer Konzerthauses "Die Glocke". 2014 wechselt Schmiel als Intendantin zur Tonhalle Gesellschaft Zürich. Ihre Nachfolge in Bonn tritt Nike Wagner an.

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