Interview mit Dirigent Daniel Harding "Wir feiern die Musik, die wir spielen"

Bonn · Der englische Dirigent Daniel Harding gastiert am Samstag, 2. Juni, mit der Filarmonica della Scala zu einem Sonderkonzert des Beethovenfestes in der Beethovenhalle. Auf dem Programm stehen Werke von Verdi, Strauss und Dvorak. Solistin ist die Sopranistin Christine Schäfer. Mit Harding sprach Bernhard Hartmann.

 Leidenschaft für die Musik: Dirigent Daniel Harding.

Leidenschaft für die Musik: Dirigent Daniel Harding.

Foto: Harald Hoffmann

Sind Sie noch nervös, wenn Sie das Podium betreten?

Harding: Nein. Ich bin nur nervös, wenn es etwas gibt, weswegen ich nervös sein müsste. Wenn zum Beispiel bei den Vorbereitungen etwas schief gelaufen ist.

Wie viele Proben braucht denn ein gutes Orchester, um perfekt vorbereitet sein?

Harding: Das lässt sich schwer sagen. Man spielt ein Konzert eben auf dem Level, den man in den Proben erarbeitet hat. Fertig wird man nie. Gustav Mahler meinte einmal, dass jeder Dirigent wisse, was er in der sechsten Probe anzumerken habe, die wirklich interessanten aber wüssten selbst nach der zwanzigsten Probe noch etwas zu sagen.

In Bonn führen Sie "Vier letzte Lieder" von Richard Strauss auf. Was bedeutet dieses melancholische Spätwerk des alten Strauss für einen immer noch sehr jungen Dirigenten. wie Sie es sind?

Harding: Jeder von uns muss sich ja irgendwie mit den Fragen von Verlust und Tod auseinandersetzen. Sei es durch Ereignisse, die uns unmittelbar in unserem persönlichen Umfeld berühren, oder auch ganz allgemein wegen der Gewissheit, eines Tages sterben zu müssen. Es geht also nicht nur exklusiv ältere Menschen an, es betrifft uns alle. Auch Strauss selbst hat sich schon in ganz jungen Jahren in seiner Tondichtung "Tod und Verklärung" künstlerisch mit der Problematik auseinandergesetzt. Er ist insofern ein sehr gutes Beispiel dafür, dass es während unseres ganzen Lebens begleitet.

Im Anschluss dirigieren Sie Dvoraks achte Sinfonie. Schätzen Sie seine Musik genauso wie die von Schumann?

Harding: In meinem Verhältnis zu der Musik von Dvorak und Schumann gibt es tatsächlich viele Gemeinsamkeiten. Sie sind vielleicht zwei der wirklich ganz großen Komponisten, von denen zwar einige wenige Stücke geliebt und aufgeführt werden, aber sie haben großartige Musik geschrieben, die keine Beachtung findet. Beide sind als Musiker und als Persönlichkeiten sehr viel komplexer, als wir gemeinhin annehmen. Wenn Sie nur Dvoraks neunte Sinfonie oder das Cellokonzert spielen, oder von Schumann das Klavierkonzert, kriegen Sie ein völlig falsches Bild von der Künstlerpersönlichkeit.

Sir Simon Rattle war immer eine Vaterfigur für Sie. Kontaktieren Sie ihn noch, wenn Sie Fragen zum Dirigieren haben?

Harding: Oh ja! Wir Dirigenten arbeiten ja oft allein. Da ist es natürlich großartig, wenn wir jemanden haben, mit dem wir über musikalische Probleme reden können. Mit jemanden, der dieselben Erfahrungen gemacht hat. Ich finde, Dirigenten brauchen wirkliche Freunde. Es ist eine großartige Sache, so jemanden zu haben.

Welche Zutaten braucht es, um einen großen Konzertabend hinzubekommen?

Harding: Mit einem Konzert feiern wir die Musik, die wir spielen. Es gibt Musik, die wird so häufig gespielt, dass sich ein Konzert nur über Vergleiche mit anderen Interpretation definiert. Das Publikum vergleicht das Gehörte mit der Interpretation von Gergiev oder mit Jansons, ein anderer hat eine Interpretation von Kubelik in Erinnerung. Aber darum geht es nicht. Es geht darum zu feiern, dass wir diese Musik hören können. Ein großartiger Abend kann zum Beispiel durch eine bestimmte Auswahl von unbekannten Stücken entstehen. Er kann aber auch außergewöhnlich werden, weil das Wetter an diesem Tag zufällig so schön ist. Oder auch weil es furchtbar ist und jeder sich darüber glücklich schätzt, im Konzertsaal zu sein. Es gibt also kein Rezept für einen außergewöhnlichen Konzertabend. Selbst wenn Sie das beste Orchester und die besten Solisten der Welt haben und in dem schönsten Konzertsaal spielen, ist das noch lange keine Garantie für ein wirklich großartiges Konzert.

Im vergangenen Jahr haben Sie in Japan am Abend des verheerenden Erdbebens in einem eigentlich ausverkauften Konzertsaal vor nur 50 Zuhörern Mahlers fünfte Sinfonie dirigiert. War das nicht eine befremdende Erfahrung?

Harding: Das war schon eine sehr außergewöhnliche Situation. Es ist natürlich nicht das, was ich als Ideal für ein gelungenes Konzert reklamieren würde. Aber dieser spezielle Abend hat mir gezeigt, warum ich Musik mache. Hier ging es tatsächlich nicht um den Vergleich von Interpretation, sondern ausschließlich um die Kraft der Musik. Jeder im Saal hat zu hundert Prozent verstanden, was Mahler in seiner Musik ausdrückt. Und ich habe verstanden, dass die Musik hilft. Ganz einfach dadurch, dass wir sie spielen und sie erklingt. Und das ist ein enorm befreiendes Gefühl. Musik wird zu einem Ritual, das die Menschen unmittelbar berührt und zusammenführt. In einem sehr viel stärkeren Maße, als es bei einem ganz normalen Konzertbesuch sein kann.

Zur Person

Daniel Harding wurde 1975 in Oxford geboren und begann seine Karriere als Assistent von Simon Rattle. Erst 19-jährig debütierte er am Pult des City of Birmingham Symphony Orchestra. Seine ersten Posten als Chefdirigent übernahm er mit 22 Jahren beim Sinfonieorchester Trondheim. Harding ist heute Chefdirigent des Mahler Chamber Orchestra und Music Director des Radio-Sinfonieorchesters Stockholm. Außerdem ist er Principal Guest Conductor des London Symphony Orchestra.

Karten für das Konzert am Samstag, 2. Juni, 20 Uhr, in der Beethovenhalle gibt es in den Bonnticketshops in den Zweigstellen des General-Anzeigers und bei bonnticket.de.

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