"Und Pippa tanzt!" Wo winterliche Irrlichter glitzern

KÖLN · Fast leichenblass wirkt die kleine Ballerina mit ihrem Tanzkleid in Unschuldsweiß. Der Puppenmacher Atif Hussein hat die Titelheldin in Gerhart Hauptmanns "Und Pippa tanzt!" bewusst nicht zum Engelchen verzuckert.

 Intime Szene mit Michel Hellriegel (Yuri Englert), Pippa und ihrer Spielerin Magda Lena Schlott.

Intime Szene mit Michel Hellriegel (Yuri Englert), Pippa und ihrer Spielerin Magda Lena Schlott.

Und Spielerin Magda Lena Schlott, ebenso behutsam wie burschikos, führt das Mädchen mit den androgynen Zügen traumhaft sicher um alle Klischeekippen herum.

Hier lockt keine laszive Kindfrau, und dennoch sind in Moritz Sostmanns Inszenierung alle Männer diesem Wesen verfallen: der Glashüttendirektor (schön bonzenschnöselig: Martin Reinke) fühlt eine "vergiftete Pfeilspitze" in der Brust, der grobschlächtige Glasbläser Huhn glaubt, dass Pippa im Funkenflug aus dem Glasofen aufzüngelte. Und der fahrende Handwerksgeselle Michel (Yuri Englert als versponnener Weltfremdling) erliegt ihrer Aura unrettbar.

"In uns allen lebt etwas, nach dem sich unsere Seele sehnt", schrieb Hauptmann zu seinem "Glashüttenmärchen". Und just als er 1905 gerade seine langjährige Geliebte Margarethe geheiratet hatte, glaubte er dieses Etwas in der 16-jährigen Schauspielerin Ida Orloff gefunden zu haben. So machte er Pippa zur schillernden Projektionsfläche männlicher Wünsche, zur Muse und Inspirationsquelle.

Man sieht all dies in der abrissbedrohten Halle Kalk, die sich hier noch einmal faszinierend verwandelt: in eine Gastwirtschaft mit locker gestellten Tischen, von denen aus man bei Wein, Bier oder Kaffee auf eine altmodische Bühne (samt Laufsteg ins Publikum) blickt.

Schon Klemens Kühns Ausstattung mit den bedrohlich schwarzweißen Bergfotos und -prospekten sowie den wundertätigen Requisiten schließt den Horizont des Stücks auf: hier die Skizze der kriselnden Glasbläserei im winterkalten schlesischen Riesengebirge - dort die Beschwörung südlicher Sonnenwelten, aus denen Pippa und ihr früh erstochener Vater stammen.

Es ist nicht leicht, den Schlüssel zu diesem seltsamen Werk zu finden, bei dem das Zarte im Derben wohnt, der Schwank ganz nah an der Tragödie siedelt und die wiederum dicht am tröstlichen Märchen. Sostmann findet diesen Schlüssel, vertraut Hauptmanns Traumlogik und schraubt das Stück immer höher: von der Kaschemme in jene Berghütte, wohin Huhn Pippa entführt, und von dort ins Wolkenkuckucksheim des mysteriösen Magiers Wann (die zweite der beiden einzigen Puppen).

Die Regie lässt alle Irrlichter der Vorlage glitzern und füllt dieses abgründige Wunderreich mit poetischen Einfällen: Wird hier die Nordhalbkugel eines Globus' per Staubwedel betupft, beginnt es zu schneien. Und Wanns stummer Diener Jonathan (Johannes Benecke) mischt sich aus allerlei Glasphiolen ein köstliches Beifallsgeräuschorchester.

Wann (von Philipp Plessmann geführt) schafft es, die frostige Winterdüsternis mit den Wasserpalästen der Lagunenstadt zu verbinden und eine venezianische Modellgondel zur Fähre der Fantasie zu machen. Doch darauf fährt viel Traurigkeit mit. Schon Pippas erster Tanz war eher wehmütiges Schweben als sinnliche Ekstase, und schließlich wird sie in Huhns Pranken zerklirren wie ein dünnwandiges Muranoglas.

Eine geniale Szene, wie überhaupt die Momente zwischen der Schönen und dem Biest (schwer verständlich, aber fabelhaft in seiner Urgewalt: Jakob Leo Stark) zu den stärksten gehören. "Iieh bin a Spuk, und du bist a Spuk, de ganze Welt iis a Spuk, nischt weiter!" bricht es aus Huhn hervor. Doch diesem Spuk sieht man gebannt und verzaubert zu. Vehementer Beifall für alle.

Nächste Termine: 19., 24., 30./31. März, je 19. 30 Uhr, Halle Kalk. Karten in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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