Zinnsoldat trifft Playmobilritter

Ausstellung "Spielzeug aus 100 Jahren" im Euskirchener Stadtmuseum weckt Erinnerungen an unbeschwerte Zeiten

Zinnsoldat trifft Playmobilritter
Foto: Volker Lannert

Euskirchen. Das kleine Luftkissenboot namens "Hovercraft", das da zwischen Kleintransportern und schnittigen Sportwagen in einer Glasvitrine steht, weckt Erinnerungen: an unbeschwerte Tage, als der Bau einer Lego-Garage für den Spielzeugauto-Fuhrpark Stunde um Stunde bis zum Abendbrot in Anspruch nahm.

Als die mit Pappe verstärkten Anziehpuppen eine neue Garderobe bekamen, ausgeschnitten aus dem Versandhauskatalog. Zwar von der jeweils gerade abgelaufenen Saison, aber was machte das schon? Diese Freiheit hatte ein Mädchen in den 70ern allemal, nach Lust und Laune mit Puppen oder Autos oder beidem seine Zeit zu verbringen.

Auch das gehört zur Geschichte des Spielzeugs von 1900 bis 2000, die das Euskirchener Stadtmuseum mit einer Ausstellung auf mehr als 100 Quadratmetern und über drei Etagen verteilt zeigt.

So wäre die Urgroßmutter heute gewiss erstaunt, vielleicht sogar ein wenig erschrocken beim Anblick eines für ihre Augen hoffnungslos überfüllten Kinderzimmers. Zu ihrer Zeit bekamen Mädchen eine Puppe mit Porzellankopf und Jungen eine Dampfmaschine oder einen Satz Zinnsoldaten.

Zumindest in gutbürgerlichen Familien, die sich Kinderspielzeug leisten konnten. Schön sollte es sein und kostbar. Robust, pflegeleicht, kindgerecht? Danach fragte anno dazumal niemand. Dennoch, oder eben gerade deshalb, besitzen die zierlichen Puppenhausmöbel im Stil der Jahrhundertwende und das Interieur im Miniaturformat vom Teekessel bis zum Küchenbesen aus heutiger Sicht einen rührend-naiven Charme.

Zusammengestellt wurden die Exponate der Ausstellung von Corinna Wodarz aus Höxter, die sich als Sammlerin auf das Thema Spielzeug spezialisiert hat. "Die ältesten Stücke stammen aus dem Jahr 1895", erzählt die Kunsthistorikerin. Spielten Kinder damals wirklich anders? Ein Blick auf die Puppenküche mit Originalschränken aus dem Jahr 1910 - nicht gemacht für kleine, ungeschickte Hände - spricht dafür.

Jungen genossen deutlich mehr Freiheit: Zinnfiguren, Holz- oder Metallbaukästen hielten schon einiges aus und regten zudem die Fantasie an. Ebenso wie die Modell-Eisenbahn, die aber schon seinerzeit vor dem Übergriff der Väter nicht sicher war. Zuverlässig wurden die elektrischen Züge erst in der Nachkriegszeit, bei manchem Vorgängermodell in den 20er Jahren gab es noch ein flammendes Inferno.

Zu den weiteren Klassikern gehören der Kaufladen und das Kasperletheater. Die traditionellen Figuren Hänsel, Gretel, Krokodil und Räuber gibt es als praktische Handpuppen zum Hineingreifen, und im Museum dürfen die kleinen Besucher das in einer Spielecke auch selbst ausprobieren.

Die zweidimensionalen Anziehpuppen der 20er Jahre trugen ihr Haar ganz stilbewusst im modischen Bob und kamen recht modern daher. Was man von den Glanzbildchen aus den 40er Jahren heute nicht unbedingt sagen würde: zu kitschig. Jungen hielten sich da lieber an kernige Cowboys und wilde Indianer oder ließen römische Legionen aus Elasthin aufmarschieren.

In den 50er Jahren wird Spielzeug - vormals auch eine Art Statussymbol wohlhabender Familien - dank Massenproduktion billiger. Kunststoff hält Einzug in die Kinderzimmer. Und die Zukunft in Form futuristischer Flugzeug- und Raketenmodelle. Auf dem Teppichboden der Tatsachen werden Wettrennen mit Matchboxautos gefahren.

Ein ausgesprochen praktisches Format, das den Traum unerschwinglicher Luxusmodelle nunmehr für ein paar Mark wahr werden lässt. Auch die Lieblingspuppe darf jetzt im Wasser baden. Vinyl macht es möglich.

Auf Geschick kommt es beim Tipp-Kick aus den 50ern an, auf Schnelligkeit beim Tischflipper aus den 70ern. Die Erkenntnis, dass spielen und lernen Hand in Hand gehen, hat sich schließlich durchgesetzt und glücklicherweise den um die Jahrhundertwende erschienenen Leitfaden "Erreicht die Prügelstrafe ihren Zweck?" vergessen gemacht.

Die Erfolgsgeschichten des späten 20. Jahrhunderts schreiben vor allem drei Namen: Barbie, Playmobil und Lego. Systemspielzeug, das sich - je nach Geldbeutel - grenzenlos erweitern lässt. Und es gibt wieder eine Entwicklung: Die Jugendlichen kehren ihrer Spielzeugkiste den Rücken, um vor dem Bildschirm Platz zu nehmen.

Die ersten Tennis-Matches in grün auf schwarz auf Geräten der Generation "Commodore" und "Atari" entlocken den Besitzern heutiger Spielekonsolen allenfalls noch ein liebevoll-verächtliches Lächeln.

Öffnungszeiten und Begleitprogramm

Die Ausstellung "Spielzeug aus 100 Jahren" im Stadtmuseum Euskirchen, Kirchstraße 12, ist bis zum 3. Juni dienstags bis donnerstags je von 10 bis 12 und von 15 bis 18 Uhr, freitags von 10 bis 12, samstags von 13 bis 16 Uhr und sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet.

Das Begleitprogramm im April:

Samstag, 14. April: "Rücke vor bis zum Parkhotel", Gesellschaftsspiele für Spieler und Bastler ab zwölf Jahren, 15 bis 19 Uhr. Kostenbeitrag: 25 Euro.

Dienstag, 17. April: Führung für Kinder ab sechs Jahren, 15 bis 17 Uhr. Eintritt: zwei Euro.

Donnerstag, 19. April: Vortrag "Sauspiel, Reifentreiben und Köstchenhüpfen", Kinderspiel gestern und heute, 19 Uhr. Eintritt frei.

Samstag, 21. April: "Frau Holle", Figuirentheater für Kinder ab drei Jahre, 15 Uhr. Eintritt 4,50 Euro.

Weitere Informationen und Anmeldungen unter der Rufnummer (0 22 51) 97 03 86 sowie www.euskirchen.de/Stadtmuseum

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