Beethovenfest Zugabe mit gerolltem "r"

bonn · Das Kammerorchester München präsentierte beim Beethovenfest eine Sciarrino-Uraufführung. Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja spielte Ligeti in der Beethovenhalle.

 Temperament und Seele: Patricia Kopatchinskaja in der Beethovenhalle.

Temperament und Seele: Patricia Kopatchinskaja in der Beethovenhalle.

Foto: Barbara Frommann

Das neue Werk des sizilianischen Komponisten Salvatore Sciarrino zu hören, ist so, als würde man die Musik beim Schlafen beobachten. "L'ideale lucente e le pagine rubate" (Das leuchtende Ideal und die gestohlenen Seiten) heißt es und wurde jetzt als von der Siemens-Musikstiftung gefördertes Auftragswerk des Beethovenfestes und des Münchner Kammerorchesters von diesem in der Beet-hovenhalle uraufgeführt.

Es sind die gleichmäßigen "Atemzüge" der Streicher, die anschwellenden und abnehmen Klangfelder solistischer Instrumente oder ganzer Gruppen, die eine solche Assoziation aufkommen lassen. Mal in höchsten Flageolett-Sphären, mal geräuschhaft nur auf dem Korpus des Instrumentes gestrichen.

Nur selten einmal löst sich ein Motiv, wie im Traum, und verschwindet irgendwo im Nichts (oder begegnet unfreiwillig einem Nokia-Klingelton aus dem Publikum), während das Streichorchester ruhig weiter atmet.

Der Stil des Italieners lebt von einer radikalen Reduktion der Mittel, die oft zu zwingenden ästhetischen Ergebnissen führen. Das jüngste Werk lässt einen jedoch seltsam unberührt. Die kompositorische Grundidee vermag sich kaum zu entfalten, weil solche in früheren Avantgarde-Zeiten einmal unerhörten Instrumental- Klänge heute sehr viel konventioneller sind, als sie es vorgeben.

Um wie viel spannender, kurzweiliger, origineller und tiefer erscheint da das Violinkonzert des 2006 verstorbenen ungarischen Neutöners György Ligeti. "Das Violinkonzert von György Ligeti ist vielleicht das spannendste Violinkonzert seit Beethoven. Es ist das Konzert, das ich am liebsten spiele", sagt die Geigerin Patricia Kopatchinskaja, die das Werk nun auch in Bonn vortrug.

Man mag vielleicht einwenden, dass auch Mendelssohn, Brahms, Berg und einige andere ebenfalls bedeutende Beiträge zur Gattung geliefert haben, aber wie die moldawische Musikerin Ligetis Werk zum Klingen brachte, hatte ganz große Klasse. Sie machte die enormen Anforderungen mit einem farbenreichen, intensiven und auch temperamentvoll virtuosen Spiel fast vergessen.

Und das Orchester legte sich unter der Leitung von Alexander Liebreich bei seinem ebenfalls extrem schwierigen Part präzise und engagiert ins Zeug; souverän setzten sie die sechssätzige Partitur mit den vielen Anleihen von der mittelalterlichen Notre-Dame-Schule bis hin zu javanischer Harmonik und ungarischer Folklore um.

Kopatchinskaja, die zu ihrem gelben Abendkleid barfuß trug, spielte drei Zugaben, darunter das knappe "ruhelos" aus György Kurtágs Kafka-Fragmenten, bei dem nicht nur ihr Spiel beeindruckte, sondern auch das heftig gerollte "r" des Stücktitels.

Nach der Pause dirigierte Liebreich eine mit Temperament und Feuer gespielte siebte Sinfonie von Ludwig van Beethoven. Viel Beifall nach dem zweieinhalbstündigen Konzert im leider halb leeren Saal der Beethovenhalle.

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