Kölns Gürzenich-Kapellmeister Zum Abschied ein Sonnenaufgang

KÖLN · Kölns Gürzenich-Kapellmeister Markus Stenz dirigierte eine grandiose Aufführung von Schönbergs Gurreliedern

 Monumentales Werk: Markus Stenz beim Abschiedskonzert in der Philharmonie.

Monumentales Werk: Markus Stenz beim Abschiedskonzert in der Philharmonie.

Foto: Brill

Es war zwar nicht das letzte Konzert, das Markus Stenz als Gürzenich-Kapellmeister und Kölner Generalmusikdirektor in der ausverkauften Philharmonie dirigierte, aber als offizielles Abschlusskonzert und Abschiedsgeschenk an sein Publikum war es gleichwohl gedacht.

Auf dem Programm standen Schönbergs monumentale Gurrelieder, für deren Aufführung in Köln an die 450 Mitwirkende aufgeboten wurden: sechs Solisten, ein um viele Gäste aufgestocktes Orchester und diverse Chöre. Der Anblick war ehrfurchtgebietend. Nach zwei Stunden und zwanzig Minuten (inklusive Pause) war es vollbracht, das Publikum jubelte, Stenz und seine Musiker und Sänger wirkten glücklich.

Nach einer solch großartigen Aufführung versteht man, warum die 1913 durch Franz Schreker in Wien uraufgeführten Gurrelieder zum größten Erfolg des Komponisten werden sollten. Dabei geht es hier gar nicht einzig darum, durch schiere Masse zu überwältigen.

Der große gemischte Chor kommt überhaupt erst ganz zum Schluss für wenige Minuten zum Einsatz. Schönberg erweist sich in seinem oratorischen Werk vielmehr als ein Meister der Nuance. Schon das Klanggewebe des an Wagners Rheingold erinnernden Vorspiels wurde von den Holzbläsern mit einer wunderbar duftigen Leichtigkeit genommen. Man legte sozusagen den Teppich für den ersten Einsatz Waldemars, des Protagonisten des auf Texten des dänischen Dichters Jens Peter Jacobsen basierenden Werkes.

Der Inhalt ist eine ziemlich abenteuerliche, aber - vor allem in Schönbergs Vertonung - immer noch sehr bewegende Geschichte, in der es vordergründig um Liebe, Eifersucht, Mord und Rache geht, deren irreale Szenerie sie jedoch in philosophisch höher Sphären treibt.

Für die Hauptpartie des Waldemar hat Stenz den amerikanischen Tenor Brandon Jovanovich verpflichtet, dessen geschmeidige Stimme mit ihrer Fähigkeit zu lyrischem Schmelz und kraftvoller Attacke die Partie ungemein veredelt. Man fühlt die Liebe und die Trauer mit und ist von seinem Zorn über den Mord an seiner Geliebten Tove erschüttert.

Barbara Hevaman sang die Unglückliche mit reiner, etwas abgedunkelter und wunderbar fokussierter und leuchtender Sopranstimme, die von Ursula Maria Bergs Sologeige innigst umspielt wurde. Die andere Frauenpartie, die Waldtaube, fand in der Mezzosopranistin Claudia Mahnke eine Interpretin, die den Schmerz über Toves Tod in einen Schwebezustand aus lyrischem Gesang und expressiver Ausdrucksgeste hob.

Natürlich funktioniert eine solch ambitionierte Aufführung nur, wenn auch die kleineren Rollen erstklassig besetzt sind. Das war bei Thomas E. Bauer der Fall, dessen baritonale Fülle in der Partie des Bauern schön zur Geltung kam, aber auch in Klaus Siegels Klaus-Narr, der den ironisch-grotesken Ton dieser Partie sehr genau traf. Dass mit Johannes Martin Kränzle auch für die Rolle des Sprechers ein Sänger engagiert worden war, verleugnete der Bariton in keiner Silbe. Er gestaltete mehr als Musiker denn als Schauspieler, was dem deklamatorischen Stil Schönbergs sehr entgegenkommt.

Auf die Chöre, die schon vor der Pause schweigend die Ränge besetzten, musste man bis zum dritten Teil warten. Aber wenn die "Mannen" Waldemars zum ersten Mal anheben, geht das unter die Haut, wie bei einem guten Horror-Thriller. Und wenn zum Schluss der Netherlands Female Youth Choir, die Domkantorei Köln, die Männerstimmen des Kölner Domchores, das Vokalensemble Kölner Dom, der Chor des Bach-Vereins Köln und die Kartäuserkantorei Köln gemeinsam mit ihren Stimmen den gleißenden Sonnenaufgang evozieren, ist das doch einmal pure Überwältigung.

Das Gürzenich-Orchester hatte hier freilich auch seinen erheblichen Anteil. Insgesamt spielte es unter Markus Stenz Leitung ungemein präzise. Der volle Streicherklang, das markante Blech, das Schlagwerk oder auch die vier Harfen schufen einen rauschhaften Klang, den man nicht wieder vergisst. Schöner und intensiver kann man einen Abschied nicht gestalten.

Das Konzert wird heute und morgen jeweils um 20 Uhr noch einmal wiederholt. Das WDR-Fernsehen sendet am 13. Juli, 10 Uhr, einen Mitschnitt.

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