Fotografie Retrospektive von Peter Piller in der Kunsthalle Düsseldorf

Düsseldorf · Die Kunsthalle Düsseldorf zeigt eine Retrospektive von Peter Piller. Die Ausstellung des Fotografen trägt den Titel „there are a couple of things that bother me“ und ist noch bis zum 21. Mai zu sehen.

Die Serie „Bereitschaftsgrad“ von Peter Piller. Installationsansicht der Kunsthalle Düsseldorf.

Die Serie „Bereitschaftsgrad“ von Peter Piller. Installationsansicht der Kunsthalle Düsseldorf.

Foto: Katja Illner/VG Bild-Kunst

„Sie müssen nicht alles verstehen, um etwas von der Ausstellung zu haben. Missverständnisse können genauso interessant sein wie das, was Sie verstehen.“ Mit diesen für einen Professor für Freie Kunst ungewöhnlichen Worten speist Peter Piller die Journalisten seiner Retrospektive in der Düsseldorfer Kunsthalle ab. „Vielleicht gibt es Meisterwerke, die unter Gähnen entstanden sind“, klebt er als Zitat von Marcel Proust an den Eingang. Er selbst glänzt kaum durch eigene Fotos, sondern klebt kleine gefundene Alltagsbilder an die hohen Wände. „Nichts von Wert“ ist das vielfach. Dabei frühstückt er aus Biologie- oder Geografiebüchern, sinniert über den Wind im Wasser und zeigt Fotos, auf denen Vögel davonfliegen, weil sie schneller als seine Kamera sind.

470 Arbeiten aus 18 Serien präsentiert der 55-Jährige, der in Hamburg wohnt und in Düsseldorf lehrt. Sie bilden die Spitze eines Riesen-Archivs, das er als Werkstudent in einem Hamburger Ausschnitt-Dienst begann. Damals musste er täglich massenweise in Regionalzeitungen aus ganz Deutschland prüfen, ob die gebuchten Anzeigen erschienen waren. „Eine absolut anspruchslose Aufgabe“, wie er treuherzig zugibt und für die er der Agentur noch heute dankbar ist, denn sie ließ ihn in Frieden, sodass er seine privaten Ausschnitte betreiben konnte. Was er schließlich gruppiert und als Serie benennt, wirkt wie Nonsens oder Karikatur, wenn er ohne Kommentar Bilder von leeren Orten zeigt und sie als „Bauerwartungsflächen“ tituliert. Diesmal startet er mit einem 35-fach wiederholten dpa-Foto von einem Bombenabwurf über eine beleuchtete Stadt.

Bilder zeigen Angriffe der US-Armee im Irak

Monoton addiert er dasselbe farbige, leicht unscharfe Motiv in fünf Reihen untereinander. Kein Pixeleffekt wie bei Thomas Ruff. Keine einprägsamen Nachstellungen wie bei Thomas Demand und keine nachgemalten Gemälde wie bei Hans-Peter Feldmann. Stattdessen „Vorzüge der Absichtslosigkeit“, wie er einen Vortrag in Genf titulierte. Bunte Bilder oder Bildchen zeigen große Rauchwolken nach der Explosion über einer nächtlichen Stadt. Dass es die ersten Angriffe der US-Armee über Bagdad im zweiten Irakkrieg waren, wird verschwiegen, denn es gibt keine Bildunterschriften. Peter Piller denkt derweil voller Bitterkeit an die Behauptung der Amerikaner, man ziele so genau, dass es keine zivilen Opfer gebe. Er vermag die Welt nicht zu ändern. Ihm bleibt nur die Hoffnung, dass seine multiplizierten Scans die Betrachter nachdenklich machen. Er präsentiert sie in den jeweiligen Formaten der Regionalzeitungen, unterschiedlich in Ausschnitt, Größe, Farben und Abstand des Motivs zum Blattrand der Zeitung.

Auf leisen Sohlen agiert er, reagiert auf Bilder, die ihn „hinterrücks“ anschleichen, um gesammelt und gezeigt zu werden. Ihm geht es nicht um künstlerische, kunsthistorische oder besondere Motive. Seine Archivware wirkt anonym. Er findet Fotos von Schadensfällen aus dem Depot einer schweizerischen Versicherung, darunter Schimmel an den Wänden, aber manchmal auch gar nichts. Er entdeckt blutende Beeren zwischen Blumen in einer botanischen Publikation über Afghanistan. Er scannt und vergrößert Blindgänger als „Unangenehme Nachbarn“.

„Ich will nichts wegsortieren, abprüfen und mit einer Diplomnote versiegeln“

„Ungeklärte Fälle“ hängt er in eine labyrinthische Koje, immerhin mit einem Auto im stacheligen Unkraut. „Stop“ zeigt öffentliche Gedenkminuten, die man weder hören noch sehen kann. Auf der Suche nach seltenen Vögeln reist er wie ein Ornithologe durch die Welt, aber die Tiere sind längst in den Lüften. „Behind Time“, „Hinter der Zeit“, lautet der Titel. Man solle seinen eigenen Eindrücken vertrauen, predigt er seinen Studierenden. Seine Devise in der Hochschule: „Ich will nichts wegsortieren, abprüfen und mit einer Diplomnote versiegeln. In der Kunst sollen Erkenntnisprozesse in Gang gesetzt werden.“ Da er nicht nur mit der Schere hantiert, sondern auch mit Worten, assoziiert er für die Düsseldorfer Kunstakademie, die aktuell ohne Führung ist: „Unpässlich“ und „Fortbestehen“.

In einer großen Vitrine lagert die erste „Peripheriewanderung“ von 1998 in Hamburg. Sieben Wanderungen hat er in 20 Jahren absolviert. Seine robusten schwarzen Schuhe lassen ahnen, wie zügig er durch Städte wie Barcelona und Bonn, Graz, Winterthur oder zuletzt Bremen gelaufen ist, täglich 10 bis 15 Kilometer, um anschließend mit Tusche und Bleistift wenig mehr als Niemandsland festzuhalten. In Kürze will er mit seiner Klasse in die Gegend von Lascaux fahren, um die Geburt der Kunst kennenzulernen. Dabei gehe es auch um eine Selbstbefragung, sagt er.

Dass ausgerechnet er die Klasse des weltbekannten Fotokünstlers Andreas Gursky in Düsseldorf übernahm, dessen Werke zu den teuersten der Welt gehören, zeugt davon, dass selbst das Schicksal einen subtilen Humor haben muss.

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