Kulturtipp: CD von Martin Tingvall Schwedische Jazzpianist verarbeitet die Pandemie

Bonn · Kulturtipp aus der Redaktion: Der schwedische Jazzpianist Martin Tingvall hat die Erfahrungen mit Pandemie und Lockdown in sein neues CD-Projekt einfließen lassen

 Cover des Albums «When light returns» von Martin Tingvall.

Cover des Albums «When light returns» von Martin Tingvall.

Foto: dpa/Tine Acke

Erst langsam merkt man bei Künstlern, was die Pandemie und die verschiedenen Lockdown-Phasen angerichtet haben. Etliche Musiker etwa melden sich mit Soloprojekten zurück, ein prominentes Beispiel ist neben dem Jazzpianisten Omer Klein (sein Album erscheint demnächst) sein schwedischer Kollege Martin Tingvall, dessen CD mit dem bezeichnenden Titel „When Light Returns“ (Skip Records) an diesem Freitag herausgekommen ist. Wenn das Licht zurückkehrt: Skandinavier wissen, was das für ein Ereignis nach den langen dunklen Tagen ist. Und im übertragenen Sinn wissen auch Lockdown-Opfer, wie es sich anfühlt, wenn man wieder voll partizipieren kann. 

„Vor einem Jahr schien die Welt plötzlich still zu stehen“, schreibt Tingvall, „als würde die Menschheit den Atem anhalten über den ersten Schock der Pandemie.“ Tingvall war nach einem USA-Trip in Südschweden gestrandet. Was er wahrnahm: einen frühen Frühlingseinbruch mit viel Sonne, eine erwachende Natur nach dem langen skandinavischen Winter. Genauso hört sich an, was Tingvall dann innerhalb weniger Tage im März komponierte: Musik im direkten Kontakt mit der Natur. „Während dieses menschlichen Stillstands erschien mir die Kraft der Natur umso stärker.“

Und dann geht die Sonne auf

In den Songs seines vierten Soloalbums meint man, wie im Titelstück „When Light Returns“, die Sonne aufgehen zu sehen, man nimmt flirrende Insekten wahr, Seen und Hügel, unendliche Felder und Seen. Das klingt mal wie eine opulente Filmmusik, der Soundtrack des Erwachens nach dem Lockdown, mal wie eine melancholische Volksweise. Mal ist Tingvall sehr jazzig aufgelegt, mal nähert er sich der Klassik, und wenn manches sich direkt ins Ohr einschmeichelt, dann spürt man, dass Tingvall auch für Pop ein Herz hat. 

Bisweilen ist es einfach großes Kino, wie Tingvall seine Emotionen und Eindrücke fürs Piano formuliert. Es geht aber auch sehr zart zu, bedächtig, tastend wie in „Spring“, wo er aus ein paar hingetupften Noten ein spannendes, fragil anmutendes Stück Frühlingserwachen entwickelt. Ein lockerleichtes Tänzchen mit einem Schuss Melancholie erlaubt sich der Musiker mit „Dancing Trees“, und er zeigt sich dabei in den Improvisationen zum Eingangsthema als klasse Jazzpianist. Auch ein jazziger Tanz ist „Fireflies“, eine kostbare, gerade einmal zweieinhalb Minuten dauernde Miniatur rund um ein paar Glühwürmchen. Meisterhaft.

„Für mich ist das Album ein Hoffnungssymbol“, meint Tingvall, „auch wenn es scheint, dass es nicht mehr weitergehen wird, selbst nach dem dunkelsten Winter, kehrt das Licht im Frühling zurück.“

In loser Folge an dieser Stelle: Kulturtipps aus der Feuilleton-Redaktion.

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