Filmsatire „Barmherzige Schwestern“ Sie sind Heldinnen

Bonn · Es ist eine wunderbare schwarze, ironische Krankenhaussatire: „Barmherzige Schwestern“ der Bonner Regisseurin Annelie Runge wird in der Brotfabrik gezeigt.

Warmherzig und eiskalt: Anne Kasprik als Marlene in Annelie Runges schwarzem Krankenschwesternfilm „Barmherzige Schwestern“.

Warmherzig und eiskalt: Anne Kasprik als Marlene in Annelie Runges schwarzem Krankenschwesternfilm „Barmherzige Schwestern“.

Foto: Runge

Dieser Film ist ein Festival der Blicke: Wie sie schmachten, wenn der neue junge Arzt das Schwesternzimmer betritt und sich lässig eine Zigarette ansteckt; wie sie mild werden, wenn der Lieblingspatient etwas Nettes sagt; und wie sie erkalten, wenn nervende Patienten quengeln oder anzüglich werden. Die Augen der Schwestern Marlene, Louise, Klara und Maria-García rollen nach oben, wenn der kleingewachsene Professor mit einem Tross junger, willfähriger Assistenzärzte zur Visite über die Flure oder durch die Zimmer rauscht. Und sie zwinkern einander selbstbewusst zu, denn an dieser Bastion der barmherzigen Schwestern, führt kein Weg vorbei. Auch nicht für den Professor.

Die Bonner Regisseurin Annelie Runge hat ihren Spielfilm „Barmherzige Schwestern“ vor 30 Jahren gedreht, eine wunderbare schwarze, ironische Krankenhaussatire, einerseits Reflex auf die Arztfilme der 1950er und 1960er, andererseits so etwas wie die Mutter aller Krankenhaus-Soaps. Kein Klischee des Genres wird ausgelassen, von den Halbgöttern in Weiß über die Rituale der Visite, zu den Machtspielen auf Station und der erotischen Komponente zwischen Arzt und Schwester und bis zu den Momenten, wo es dramatisch um Leben und Tod geht. Man erfährt sogar, was die barmherzigen Schwestern unter dem Kittel tragen: Feinste erotische Dessous, wie es sich in der Schwesternumkleide herausstellt.

Das Filmbüro NW zeigt nun den „ersten Schwesternfilm im Genre der Arztfilme“ in der achtteiligen Reihe „Dem Land seine Bilder geben“ am 17. Dezember in der Bonner Kinemathek, im Kino in der Brotfabrik

Spielen mit den Klischees des Genres

Aber so ausgiebig Runge, die selbst einmal Krankenschwester war und 1992 den ersten „Krankenschwesternfilm“ drehte, mit den Klischees des Genres auch spielt, sie weiß, was sie tut, überzeichnet in ihrem Kinofilm-Erstling genüsslich, lässt die Kamera zaubern, baut surreale Effekte ein, lässt Dramatik in Komik münden und umgekehrt. Und sie hat „Barmherzige Schwestern“ mit ausgezeichneten jungen Schauspielern besetzt, die damals noch ganz am Anfang ihrer Karrieren standen: Anne Kasprik gibt die gleichermaßen warmherzige wie eiskalte Schwester Marlene, Nina Petri glänzt als ihre Kollegin Louise, Martina Gedeck ist als etwas rätselhafte Schwester Klara zu erleben, Lucia Stefanel gibt der Maria-García spanisches Temperament. Matthias Brandt feiert als so cooler wie linkischer Assistenzarzt sein Schauspieler-Debüt, Edwin Marian verkörpert den allmächtigen Professor. Alle weiteren Rollen sind ebenfalls toll besetzt: Ingrid van Bergen etwa spielt eine frustrierte Angehörige.

Runges Film konterkariert den Krankenhausalltag mit Blicken in die Seelen der barmherzigen Schwestern, die teils überfordert, teils genervt sind, ihren Tagträumen und Sehnsüchten nachhängen, die gütig sind, aber auch ihren Allmachtsfantasien freien Lauf lassen. Sie sind Heldinnen mit einer dunklen Seite. Auf ihre Art spielen sie Schicksal. Da kann einem quengelnden Patienten schon mal eine Überdosis verabreicht werden.

Natürlich können Marlene, Louise und Klara auch wahnsinnig gütig und warmherzig sein. Und sie tragen diesen Film, der auch bei den Hofer Filmtagen lief und über den der „Katholische Filmdienst“ einst schrieb: „Würde man diese Intensität öfter im deutschen Film spüren, stände es besser um ihn.“ Kritiker Rolf Rüdiger Hamacher bemängelt aber auch: „Wenn Annelie Runge noch lernt, aus vielen kleinen Geschichten, wie hier, einen ‚großen‘ dramaturgischen Entwurf zu machen, haben wir ihn vielleicht bald wieder: den deutschen Publikumsfilm.“

GA-Kritiker Uwe Mies schrieb: „Eine schwarze Komödie um vier Krankenschwestern nimmt Alltagsstress und hierarchische Machtstrukturen in einer Klinik aufs Korn und überzeugt durch ein dramatisch ausbalanciertes Drehbuch und glänzende Darstellerleistungen.“ Harald Martenstein gab Runges Film im „Tagesspiegel“ den Ritterschlag: „Der Film ist schwarz, böse, geradezu britisch, die beste inländische Komödie seit Schtonk.“

Wie dem auch sei: Runges Film funktioniert noch heute und ist äußerst sehenswert.

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