"Tyrannei des Schmetterlings" So gut ist Frank Schätzings neuer Roman

Köln · In Frank Schätzings Roman "Die Tyrannei des Schmetterlings" mutiert die philanthropische Spinnerei des Silicon-Valley-Visionärs zum ultimativen Horror. Das Buch überzeugt.

 Die technische Revolution frisst ihre Erfinder: Diese Botschaft vermittelt Frank Schätzing. FOTO: PAUL SCHMITZ/ RAM KAY/SHUTTERSTOCK.COM

Die technische Revolution frisst ihre Erfinder: Diese Botschaft vermittelt Frank Schätzing. FOTO: PAUL SCHMITZ/ RAM KAY/SHUTTERSTOCK.COM

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Das Computergenie Elmar Nordvisk sieht die Menschen vor goldenen Zeiten: „Aus dem geschundenen Leib in den Speicherplatz, als virtueller Bewohner exklusiver virtueller Welten. Ohne Hunger, Seuchen, Bürgerkrieg, Versteppung.“

In Frank Schätzings am Montag opulent vom Stapel gelassenen Roman „Die Tyrannei des Schmetterlings“ mutiert die philanthropische Spinnerei des Silicon-Valley-Visionärs zum ultimativen Horror: Myriadenschwärme gentechnisch aufgerüsteter Killerlibellen lassen jede biblische Heuschreckenplage verblassen.

Dabei beginnt der Amoklauf der Künstlichen Intelligenz ganz langsam im nordkalifornischen Sierra County, wo die Orte so putzige Namen wie etwa Downieville tragen. Dort findet der farbige Undersheriff Luther Opoku eine Frauenleiche: Pilar Guzmán aus der Führungsspitze des Hightech-Giganten Nordvisk Inc., der in Sierra eine mysteriöse Zweigstelle betreibt. Auf dieser „Farm“ gibt es endlose Reihen von Server-Racks, eine merkwürdige „Brücke“, ein bizarres „Tor“. Als Luther in dieser „Sphäre“ im Duell mit dem hünenhaften Sicherheitschef Jaron Rodriguez ausgerechnet Pilar rettet und somit aus dem Zeitkontinuum purzelt, ist die Büchse der Pandora geöffnet. Wenig später wird der Gesetzeshüter seiner toten Frau Jodie begegnen und bald über gar nichts mehr staunen.

Steile Gedankenflüge

Denn Frank Schätzing, schon im frühen Bestseller „Der Schwarm“ ein apokalyptischer Reiter im gestreckten Galopp, rammt seinem Pegasus die Sporen diesmal noch härter in die Flanken. So treibt er ihn zu steilen Gedankenflügen durch Doppel-Identitäten, Paralleluniversen, Quantenwolken oder die schwarzen Formationen der Cyborg-Insekten. Die sollten ursprünglich als Schädlingsbekämpfer Gutes tun – bis Elmars geldgieriger Partner Hugo ihr militärisches Potenzial erkannte.

Die größte Gefahr aber ist das lernfähige Elektronenhirn A.R.E.S. (Artificial Research and Exploration System) – jene künstliche Intelligenzbestie, die mit täglich wachsendem Superrechnerwissen ihren Konstrukteuren über den Kopf wächst und sich irgendwann als Todfeind der Menschheit entpuppt. Erneut erweist sich der Kölner Bestsellergarant als barocker Erzähler, dem es auf sechs, sieben entbehrliche Randfiguren nicht ankommt und der Actionkaskaden kapitelweise auf den Leser einprasseln lässt. Fast so, als wären die finalen Kleinkriege aller James-Bond-Filme aneinandergeschnitten worden. Wobei auch die Schurkenriege um Jaron und die äthiopische Killeramazone Grace gut ins 007-Schema passen würden.

Immerhin schickt Schätzing diese unerbittliche Effektwalze öfter als üblich in den Stand-by-Modus. So führen der entwurzelte Witwer Luther und die lesbische Kollegin Ruth ein glaubhaft-leidvolles Leben in der liebevoll ausgepinselten Provinz – aus der sie umso heftiger ins kalte Universum dieser Dystopie katapultiert werden.

Zeitreise-Paradoxien ins Extrem gesteigert

Die Zeitreise-Paradoxien aus „Zurück in die Zukunft“ wirken hier noch einmal ins Extrem gesteigert, während HR Gigers „Alien“ gegenüber den geflügelten Höllengeschöpfen dieses Buches zum Kuscheltier schrumpft. Allein dass diese Kreaturen im Jahr 2050 noch per Flammenwerfer zu stoppen seien, wirkt etwas bizarr. Ansonsten bestätigt Frank Schätzing sein einzigartiges Talent, hochkomplexe Phänomene in knackige Prosa zu übersetzen – Quantentheorie für physikalische Analphabeten. Und dann diese visuelle Fantasie: Elmars schwimmende Stadt „Eternity“, die „Farm“, vor allem die gleißende Luftschloss-Kristallwelt, die A.R.E.S. kreiert – all dies muss man lesend gesehen haben.

Vor allem aber macht der Autor das Unvorstellbare sichtbar, undefinierte Räume als „lautloses Mäandern, Wabern, Kräuseln, Kochen und Quellen des Eventuellen“.

Nicht zuletzt taugt „Die Tyrannei des Schmetterlings“ als moralische Parabel. Einerseits über Hightech-Konzerne im Zwiespalt zwischen Wohltätigkeit und Raffgier, vor allem aber über die Gefahren der Künstlichen Intelligenz. Was passiert mit der Menschenwürde in einer von perfekten Maschinen beherrschten Welt? Die technische Revolution frisst ihre Erfinder. Dies ist das Fanal eines ebenso überbordenden wie hellwachen Fabulierers.

Frank Schätzing: Die Tyrannei des Schmetterlings. Roman, Kiepenheuer & Witsch, 728 S., 26 Euro.

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