Auf dem Roncalliplatz So war das Kölner Konzert von Chilly Gonzales

Köln · Er ist der Ausnahmepianist im Bademantel: Chilly Gonzales gab ein umjubeltes Konzert auf dem Kölner Roncalliplatz. Wie sehr er die Musik liebt, wurde am Donnerstag deutlich.

 Er hätte auch 27 Stunden spielen können: Chilly Gonzales vor dem Kölner Dom.

Er hätte auch 27 Stunden spielen können: Chilly Gonzales vor dem Kölner Dom.

Foto: Thomas Brill

Was das Bühnen-Outfit anbetrifft, beginnt Chilly Gonzales so wie Udo Jürgens einst aufgehört hat – nämlich im Bademantel. Während Jürgens seine verschwitzten Zugaben stets im weißen Frottee gab, bevorzugt Gonzales einen seidigen Morgenmantel, den er dafür schon zu Konzertbeginn anhat. Zum Konzert auf dem Roncalliplatz trägt er ein violett abgesetztes schwarzes Teil, in dem er aussieht wie ein verirrter Vikar aus dem benachbarten Dom. Aber vielleicht ist Jason Charles Beck, wie der gebürtige Kanadier bürgerlich heißt, auch nur besonders feierlich zumute, denn auf den Tag genau feiert er sein siebenjähriges Jubiläum als Kölner Bürger, was von den Fans mit jubelndem Applaus quittiert wird.

Zunächst ist der 47-jährige Piano-Allrounder solo am Werk, was jedoch keinesfalls mit klanglicher Eindimensionalität verwechselt werden darf. Mit brillanter Spieltechnik, die via Pianovision auf einem Videoscreen unterhalb des Bühnendachs projiziert wird, nimmt er den stilistischen Faden bei melodiösen, von Erik Satie oder auch Claude Debussy inspirierten Fingerübungen auf, wobei bei seiner Lässigkeit nicht immer ganz klar ist, ob er die manchmal wie hingetupft klingende Romantik tatsächlich nachempfindet oder er sie vielmehr subtil karikiert. Anders als empfindsame Kollegen freut er sich über das Open-Air-Ambiente einschließlich Wind, Brunnengeplätscher und Hundegebell.

Mit Leidenschaft

Dies gehört eben alles zum Soundtrack, und das nicht nur beim Titel „Kopfkino“. Der Faden wird weitergesponnen, indem Gonzales in die Rolle von Pianisten, die einst Stummfilme musikalisch begleitet haben, schlüpft. Er liefert schwelgende Harmonien zur Glückseligkeit, aber auch fast zerstörerisch gehämmerte Klangkaskaden für aufwühlende Dramatik. Stilistisch kennt er keine Berührungsängste, Kammermusik, Klassik, Blues, Jazz, Folk, Rock und Rap präsentiert der nach eigener Aussage „Dauerkomponist“ mit jeweils der gleichen expressiven Leidenschaft.

Für „Dot“ gesellt sich Cellistin Stella Le Page hinzu, dann komplettieren Schlagzeuger Joe Flory sowie ein dreiköpfiger „Heart-Chor“ etwa für „Knight Moves“ oder „Never Stop“ das Ensemble. Natürlich kommt bei einem Musiker, der sich beim Crowd-Surfing von seinen Fans auf Händen tragen lässt und Sätze wie „Like Ozzy Osbourne, I was born to perform“ rappt, der Humor nicht zu kurz. Er offenbart an einem Bach-Beispiel, wie simpel Kompositionen manchmal aufgebaut sein können, und demonstriert mit Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“ und Britney Spears „Baby One More Time“, dass auch im Pop diese Prinzipien Anwendung finden.

Aber es ist keine Überheblichkeit dabei, denn Chilly Gonzales liebt schlicht die Musik so sehr, dass er sich nicht in ein stilistisches Korsett begeben will, sondern das emotionalisierend wirkende Wesen unterschiedlichster Klänge möglichst perfekt herausarbeiten will.

Das gelingt souverän, auch wenn er nur zwei Stunden Zeit hat, denn die Weltstadt hat für 22 Uhr das Konzertende verfügt.

„Das ist einfach unmöglich, ich weiß gar nicht, ob die wissen, wen sie da eingeladen haben, ich hätte auch 27 Stunden spielen können“, ereifert sich das sympathische Tasten-Großmaul mit Guinness-Rekord und bekommt frenetischen Applaus.

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