Oper und Bundeskunsthalle So war der Auftakt beim Jazzfest Bonn

Bonn · Ein glänzender Auftakt des Jazzfest Bonn mit jungen Talenten, Stars und Überraschungen: Lisa Wulff und das Quasthoff-Quartett waren in der Oper, Eric Schaefer und Joe Lovano in der Bundeskunsthalle.

 Thomas Quasthoff Quartett

Thomas Quasthoff Quartett

Foto: Heike Fischer

Was für ein Auftakt! Beim Jazzfest Bonn weiß man zu feiern. Zehn Jahre Jazzfest: Die Sause startete schon am Donnerstag mit einem präsidialen Intro, Gästen und Jazzfest-Musikern beim Bundespräsidenten in der Villa Hammerschmidt; Freitagabend dann offizielle Eröffnung mit jungen Wilden und gestandenen Stars; Samstag Bonnfest mit Nachwuchs-Jazzern aus NRW beim Open Air; am Abend schließlich ost-westliche Begegnungen in der Bundeskunsthalle. Jazzfestchef Peter Materna könnte es zum Zehnjährigen ruhig mal locker angehen lassen, es sich zu Recht auf den Lorbeeren etwas bequem machen und stolz Rückschau halten. Tut er nicht. Unter dem Motto „voll auf die Zwölf“ ließ es Materna gleich heftig angehen.

Mit dem Quartett der jungen, sehr talentierten Lisa Wulff schickte er zum Auftakt in der Oper den unbequemen, frechen Nachwuchs in die erste Reihe und auf die Bühne. Was zunächst eckig und kantig wie ein ungeschliffener Diamant wirkte – Wulff und ihre Jungs fanden erst nach und nach zueinander –, fügte sich im Lauf des Auftritts zum Ensemble, in dem Wulff, der herausragende Schlagzuger Silvan Strauß und Martin Terens am Piano nach Herzenslust improvisierten, aber auch ihre Mühe hatten, sich gegen das dominante Saxofon von Adrian Hanack durchzusetzen. Hanack glänzte eher als überragender Techniker und versierter Saxofonist denn als Teamplayer. Höhepunkte: „Nightmares & Daydreams“ spiegelte melancholisch, strahlend und aggressiv die Höhen und Tiefen des Jazzmusikerlebens, „The Wheel“, eine hinreißende, zarte Ballade fast am Ende, ebnete den Weg für die folgende Formation.

Quasthoff mit seinem Quartett

So etwas wie ein Nachwuchsmusiker ist Thomas Quasthoff trotz seiner bald 60 Jahre auch – zumindest im Jazz. Erst 2006 gab der Sänger seinen Rückzug von der Opernbühne bekannt und wechselte ins Swing- und Bluesfach. Ein Risiko, ist doch eine klassisch ausgebildete Stimme nicht unbedingt das geeignete Instrument für den Jazz. Bisweilen ein Problem. Auch bei Quasthoff, der mit sanftem Schmelz den verführerischen Crooner geben kann, im rauen Blues ausbricht, gerne aber auch mal pastos, üppig und arg opernhaft-opulent daherkommt und selbstverliebt seine Stimme zelebriert – die, zugegeben, von einem phänomenalen Umfang und Volumen ist. Quasthoff begeisterte in der Oper als quirlige Rampensau, die den Jazz, die Bühne und das Spiel lebt und liebt – unglaublich, wie er trotz seiner Conterganschädigung herumwirbelt, wie er mit dem ganzen Körper musiziert, seine Mitspieler anstachelt und auf seine leidenschaftliche Reise durch den Jazz mitnimmt, mit den Standards „Stardust“, „Moonglow“ und „Secret Love“, dem herrlichen Sinatra-Song „For Once In My Life“, Tina Turners „I Can't Stand The Rain“ und anderen.

Dass der Abend zum Ereignis wurde, war nicht nur Quasthoff geschuldet, der hier in Bonn eine besondere Geschichte hat, weil er ohne Zögern 2016 beim Jazzfest für den gerade zuvor gestorbenen Roger Cicero als Headliner eingesprungen war und seitdem eine interessante Entwicklung genommen hat. Eigentliche Stars waren seine Mitspieler, allesamt seit Jahrzehnten absolute Spitzenklasse in Deutschland: Der Pianist Frank Chastenier, ein nuancenreicher Fabulierer, den es kaum auf dem Klavierhocker hielt, Dieter Ilg, ein wahrer Magier am Bass, und Wolfgang Haffner, der sogar mit Plastikhämmerchen aus seinem Schlagzeug eine faszinierende Soundmaschine machen kann.

Es war ein wahrer Genuss, diesem sympathischen, toll interagierendem Ensemble zuzuhören. Ein Erlebnis, das das begeisterte Publikum mit Applaus im Stehen quittierte. Die ganze Oper auf den Beinen. Toll,

Joe Lovano in der Bundeskunsthalle

Am Samstag in der Bundeskunsthalle dann ein geteiltes Bild: Beim Star des Abends, dem Titan am Saxofon Joe Lovano, setzte der Exodus des Publikums schon vor der letzten Nummer ein, eine Zugabe wurde gar nicht erst gefordert. Während das vermeintlich sprödere Programm, Eric Schaefers „Kyoto mon Amour“, zuvor etliche Besucher von den Stühlen gerissen hatte.

Lovano, ein begnadeter Musiker und für viele Saxofonisten ein Gott an diesem Instrument, agierte an diesem Abend seltsam lustlos und eindimensional. Natürlich ist es ein Genuss, diesem unglaublich versiertem Meister zu lauschen, der zum Großteil Nummern seines neuen, exzellenten Albums „Trio Tapestry“ (ECM) spielte. Aber der stereotype Aufbau der Stücke, die kaum vorhandene Interaktion mit der ansonsten brillanten Pianistin Marylin Crispell und der Totalausfall des Drummers Carmen Castaldi machten den Auftritt trotz vorhandener Klasse Einzelner zum quälenden Set.

Fernöstliches mit Eric Schaefer

Wie anders der Eindruck bei Schaefers asiatischem Experiment, das den Abend im Forum der Bundeskunsthalle eröffnet hatte. Musikalische Grenzüberschreitung, Experiment und völlig neue Hörerfahrungen, die sich zu einer spannenden Reisereportage durch Japan fügten – wobei Schaefer eloquent und charmant den Cicerone gab. Sehr streng in der Struktur, aber mit großen Freiheiten bei der Gestaltung der einzelnen Beiträge, ging das Quartett um den Schlagzeuger Schaefer an „Kyoto mon Amour“, eine Anspielung auf Alain Resnais' Film „Hiroshima, mon Amour“ (1959), dessen Titelstück auch zu hören war. Naoko Kikuchi bediente die Koto, eine 13-saitige Wölbbrettzither, mit deutlich wachsender Leidenschaft, Kazutoki Umezu schlug mit teils bedächtigem, teils ekstatischem Klarinettenspiel eine Brücke vom fernöstlichen Kolorit zum Jazz und zur Neuen Musik. Schaefer und John Eckhardt am Bass nahmen diese fremden Impulse virtuos in ihr Spiel auf. Und so ging es klanglich durch die idyllischen Tempel von Kyoto und den trubeligen Bahnhof in die Arbeitervorstadt von Osaka und zu allerlei Geistern, mit denen man sich besser gut stellt. Die guten Geister siegten, füllten bald das gesamte Forum.

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