Jazzfest Bonn im Volksbank-Haus Spannende Zeitreise

Bonn · Jazzfest Bonn: Der Pianist Jasper van‘t Hof und das A-cappella-Ensemble Estonian Voices begeistern bei ihrem Konzert im Volksbank-Haus

 Stimmwunder aus Estland: Die Estonian Voices – im Bild die Sänger Kadri Voorand, Mikk Dede und Maria Väli (von links) – verzauberten ihr Publikum im Volksbank-Haus.

Stimmwunder aus Estland: Die Estonian Voices – im Bild die Sänger Kadri Voorand, Mikk Dede und Maria Väli (von links) – verzauberten ihr Publikum im Volksbank-Haus.

Foto: Heike Fischer/www.heikefischer-fotografie.de

Das Jazzfest Bonn im Reisefieber: In der luftigen Halle des Volksbank-Hauses mit seiner besonderen Akustik wurden am Donnerstagabend quasi die Koffer gepackt. Das fantastische Ensemble Estonian Voices nahm dabei sein hingerissenes Publikum mit nach Estland, streifte innere Landschaften und äußere Eindrücke und flog bis Tokio. Als zweiter Gast des Abends lud die 74-jährige Jazzlegende Jasper van’t Hof die enthusiasmierten Zuhörer auf eine wahre Höllenfahrt in die 1970er ein – als der Pianist mit dem Synthesizer, rockigen und ziemlich abgedrehten Arrangements Furore machte. Auf dem Album „The Selfkicker“ von 1977 sieht er aus wie ein Bruder von Frank Zappa. Beim Gig im Volksbank-Haus kam er wie ein Double von Waldorf aus der Muppet-Show daher, der sich die Perücke von Andy Warhol ausgeliehen hat. Und extravagantes Schuhwerk hatte er auch dabei. Van’t Hof gibt gerne den Witzbold, singt oder summt laut vernehmbar mit, wenn er seinen Flügel oder den Synthesizer bearbeitet, verbreitet sichtlich amüsiert Chaos und gute Laune.

Meister der Klangmalerei

Am Klavier ist er ein Meister der Erzählkunst und Klangmalerei, einer, der einzelne, eingängige Motive von mehreren Seiten beleuchtet, mit Farben zaubert. Kommt der Synthesizer hinzu, den er etwa in „­­Quite American“ parallel zum Flügel spielt, mutiert eine zarte Ballade zu einem pumpenden, gluckernden, schrillen Organismus und zur Zeitmaschine in die 1970er. Van’t Hof ist auch am Synthesizer virtuos, um keinen noch so schrägen Effekt verlegen. Selbst wenn es rotzig, wild und ordinär wird (im Gegensatz zum kultivierten Pianospiel, das man gerade noch hörte), haben er und sein Publikum unendlich Spaß.

Ob Charlie Mariano, mit dem van’t Hof unter anderem das Album „Sleep My Love“ (1979) aufgenommen hat, jedoch sein Stück „Lazy Day“ in der Interpretation des Holländers wiedererkannt hätte? Van’t Hof verwandelt den Blues des Trompeters mit einem sich nervös emporschraubenden Synthesizer in ein pulsierendes, funky Etwas. Er hatte es angedeutet: „Ich spiele einen Blues – oder auch nicht.“

Zauberhafte Estonian Voices“

Das Publikum war beglückt, erklatschte sich eine Zugabe und wurde nach der Pause mit einem ganz anderen Universum konfrontiert: Sechs Stimmen, die traumhaft miteinander harmonieren und dabei einzeln einen hohen Grad an individueller, persönlicher Färbung haben. Die Estonian Voices, ein seit 2011 existierendes A-cappella-Ensemble, beherrschen alle Spielarten und Techniken des gepflegten Chorgesangs: Sie können alle erdenklichen Instrumente und Geräuschquellen verkörpern, sind virtuos im sechsstimmigen Choralgesang, glänzen beim Scatten – insbesondere die Sopranistin Maria Väli –, überzeugen beim tänzerischen Volkslied ebenso wie bei rhythmisch vertrackten Stücken. Toll auch die sehr hübsche Adaptation von Herbie Hancocks Klassiker „Cantaloupe Island“ oder die gutturale Wohlfühlnummer „Mm Lalalaa“.

Neben Väli muss die Altistin Kadri Voorand genannt werden, die erst im November 2021 im Post Tower begeisterte. In der halligen Akustik des Volksbank-Hauses drehte Voorand mit ihrer fantastischen Soul- und Bluesstimme mächtig auf. Immer wieder präsentierte sie sich als Motor und Kreativquelle des Ensembles. Auch Mirjam und Mikk Dede, Rasmus Erismaa und Aare Külama überzeugten.

Seifenblasen auf der Bühne

Bei den lustigen Esten schwebten Seifenblasen über die Bühne und zerplatzten mit einem gesungenen „Plopp“. „Hey, Mister Bubble“ begeisterte ähnlich wie der „Tokyo Blues“, eine Ballade über den geliebten Vater oder, als Zugabe, die Mahnung an die Männer, ihre Frauen gut zu behandeln. „Bin ich mitten im Sturm oder bin ich der Sturm?“ Diese philosophische Frage stellte die Sopranistin Väli. Mit ihrem Gesang hatten die Esten alle Naturgewalten in der Hand. Äh, in der Stimme.

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