Kandinsky Bild an der Universität Bonn Strich und Fleck
Bonn · Es ist einer der Höhepunkte der Ausstellungsgeschichte des Kunsthistorischen Instituts: Hier ist ein spannendes Kandinsky-Projekt zu sehen – mit ungeklärter Herkunft.
In einem unscheinbaren Teil des kurfürstlichen Schlosses der Universität in Bonn steht man nach Betätigung der Türklingel in diesen Tagen plötzlich einem kunsthistorisch alles andere als unbedeutenden Werk gegenüber. Mit Wassily Kandinskys (1866-1944) Grafikmappe „Kleine Welten“ präsentiert das Kunsthistorische Institut aktuell einen Schatz aus dem Besitz seiner Bibliothek.
Immer wieder wird das lichte Foyer des Instituts als Ausstellungsraum genutzt. Dieses Mal jedoch lässt sich ohne Zurückhaltung von einem der Höhepunkte dieser Ausstellungsgeschichte sprechen. „Kleine Welten“ wurde dort bereits 1972 zum ersten Mal ausgestellt. Ziel war zu dieser Zeit die Gegenüberstellung von abstrakter und sozialkritischer Kunst mit weiteren Werken, während heute erstmals der problematische Erwerbungskontext thematisiert werden soll.
Kandinsky ließ die Serie in der Druckerei des Staatlichen Bauhauses in Weimar drucken. Sie erschien 1922 und umfasst zwölf signierte Druckgrafiken, davon sechs in Farbe und sechs in Schwarzweiß. Das Werk gilt als grafisches Hauptwerk aus Kandinskys Bauhauszeit. „In allen zwölf Fällen bekamen die ‚Kleinen Welten‘ im Strich und Fleck die ihnen notwendige Sprache“, schreibt der Künstler auf dem ausgestellten Einleitungsblatt seiner Mappe. Er bezieht sich damit auf die unterschiedlichen Drucktechniken, die den jeweiligen Charakter der einzelnen Kompositionen unterstützen. Dabei vereint er mit Holzschnitt, Kaltnadelradierung und Lithografie die wichtigsten Techniken des Hoch-, Tief- und Flachdruckes in einem Werk.
An der langen Wand des Foyers sind die Drucke in fortlaufender Reihe zu betrachten. „Die „Kleinen Welten“ klingen aus zwölf Blättern heraus“, fügt Kandinsky weiter unten auf dem besagten Einleitungsblatt hinzu. Dazu fanden sie an dieser Stelle einen ihnen gebührenden Platz. Neben mal dichten und mal lichten Wolken aus scheinbar sorgfältig angeordneten geometrischen Formen und filigranen Linien hängen kompakte Farbfelder mit starken Konturen. Assoziationen mit fliegenden Schiffen, utopischen Städten und dem Kosmischen kommen beim Anblick der Serie auf. „Der Stil ist typisch für Kandinskys Werk nach seinem Durchbruch zur Abstraktion im Jahre 1913“, erklärt Christoph Zuschlag. Gemeinsam mit Constanze Keilholz (Bibliotheksleitung) und Timo Hagen kuratierte er die Ausstellung unter dem Gesichtspunkt der Provenienzforschung. Denn die Mappe wurde 1938 vom Institut weit unter Wert in der Bonner Buchhandlung Ludwig Röhrscheid erworben. Fehlende Provenienzmerkmale, der geringe Preis, das Eingangsjahr und die unklare Finanzierung sind gute Gründe, um den Erwerb kritisch zu hinterfragen. Es ist nicht auszuschließen, dass es sich bei dem Werk um NS-Raubgut handelt, das beispielsweise jüdische Vorbesitzer erzwungenermaßen abgeben mussten. Bisher ist dies nur eine Mutmaßung ohne konkrete Indizien. Sollte dem aber tatsächlich so sein, wird sich um gerechte Lösungen und gegebenenfalls um die Restitution der Grafiken bemüht. Der Weg dorthin allerdings ist noch lang, das Institut wird dennoch weiter kritisch nachforschen.
„Kandinsky im KHI“, Foyer des Kunsthistorischen Instituts der Universität Bonn, Regina-Pacis-Weg 1a. Ausgestellt werden außerdem Grafiken der Künstler Otto Schoff, Alfred Kubin und Otto Lange. Zu sehen bis 10. November.