Ausstellung in Bonn Superman im Museum

Bonn · Vom Schmuddelkind zur Kunstform: Die Bundeskunsthalle zeigt mit „Comics! Mangas! Graphic Novels!“ die bisher größte Schau über diese Kunstrichtung

 Die Wüstenwelt des Comic-Dadaisten George Herriman.

Die Wüstenwelt des Comic-Dadaisten George Herriman.

Foto: herriman

Das kahlköpfige Kind mit abstehenden Ohren und bekleidet mit einem viel zu großen gelben Nachthemd betritt „Hogan’s Alley“ zum ersten Mal 1895. Der Zeichner Richard Outcault hatte sich die skurrile Figur ausgedacht und ließ sie fortan in seinen wimmelbildartigen New Yorker Straßenszenen auftreten und zum Betrachter sprechen. Jeden Sonntag erschien „The Yellow Kid“ nun in Joseph Pulitzers Zeitung „The World“ im Vierfarbdruck, der erst wenige Jahre zuvor technisch möglich geworden war.

Man muss sich heute klarmachen, was für eine Bildsensation das für die Zeitungsleser von damals bedeutete. Radio, Fernsehen und auch der Film waren noch keine Konkurrenten in der Ökonomie der Aufmerksamkeit, und so wurde der Comic zum ersten Bildmassenmedium der Kulturgeschichte. Millionen amerikanischer Zeitungsleser warteten gespannt darauf, was ihre liebsten Comic-Helden als nächstes erleben würden.

Hier, mit dem „Yellow Kid“ auf einer Zeitungsseite vom 20. September 1896, startet die großartige Ausstellung „Comics! Mangas! Graphic Novels!“, mit der die Bonner Bundeskunsthalle mit knapp 300 Exponaten die Entwicklung des Comics von seinen Anfängen in der New Yorker Tagespresse bis hin zu heutigen Phänomenen wie dem japanischen Manga und der Graphic Novel nachzeichnet.

Es gibt viel Kleinteiliges zu sehen und zu lesen in dieser Ausstellung. Ermüdend wirkt das nicht, denn starke Farben, einordnende Wandtexte, Leseecken und drei Installationen, in denen man über eine virtuelle Brille direkt in die Comic-Welt eintauchen kann, bringen Abwechslung. Im hervorragenden Katalog kann man außerdem alle Comics noch einmal in Ruhe nachlesen.

Nach dem „Yellow Kid“ verlangte das Publikum schnell nach mehr, und die beliebtesten Serien waren bei den Zeitungen hart umkämpft. Gute Zeichner konnten zu Millionären werden, wenn sie den Geschmack der Massen trafen. Plakativ, und subversiv lenkten sie durch ihre Charaktere, oftmals Kinder oder Tiere, den Blick auf gesellschaftliche Missstände.

So mancher Comic war auch auf Augenhöhe mit den künstlerischen Strömungen der Zeit. So hat der spätere Bauhaus-Meister Lyonel Feininger ab 1906 Comic-Serien gezeichnet und die Traumreisen des kleinen Nemo von Winsor McCay sind legendär. Mitte der 1930er Jahre, nachdem der Comic fast 40 Jahre lang ein reines Zeitungsphänomen gewesen war, tauchten die ersten Comic-Hefte auf, und die Zeit der Superhelden begann. Jetzt ging es nicht mehr um humorvolle Pointen, sondern um die „realistischen“ Abenteuer von Tarzan, Superman, Captain Marvel, Prinz Eisenherz und ab 1941 Wonder Woman. 24 Comic-Verlage produzierten eine Gesamtauflage von über 300 Millionen Heften. In den 1950er Jahren kamen harte Themen wie Verbrechen, Krieg, Horror und Science-Fiction hinzu, was aber auch die Comic-Gegner in Kirchen und Schulen auf den Plan rief.

Um einem direkten Verbot zu entgehen, unterwarfen sich die Comic-Verlage ab 1954 einer freiwilligen Selbstkontrolle, in der Darstellungen von Gewalt, Sexualität und Drogen ausgeschlossen waren. Sogar das Fluchen war untersagt, und so wurde das 1952 gegründete satirische MAD-Magazin bis in die 60er Jahre hinein zur letzten Bastion subversiver Comic-Kultur.

In Deutschland wurde der Comic lange Zeit als „Schmutz und Schund“ bekämpft. Während Zeichner in Frankreich und Belgien die Dominanz der amerikanischen Comics mit Tim und Struppi, Lucky Luke und Asterix konterten, brachte man sich in der Bundesrepublik mit pädagogischen Debatten gegen den Comic als „Esperanto für Analphabeten“ in Stellung.

Inzwischen ist der Comic längst erwachsen geworden, und auch hierzulande erscheinen immer mehr exzellente Graphic Novels von jungen Zeichnern. Den Befund, dass der Comic aus der Schmuddelecke heraus und in der Hochkultur angekommen ist, untermauert die aktuelle Ausstellung. In den Herzen seiner Leser aber hat der Comic schon seit 120 Jahren einen festen Platz.

Bundeskunsthalle, Friedrich-Ebert-Allee 4, Eröffnung 7. Mai um 11 Uhr, bis 10. September; Di und Mi 10-21, Do-So 10-19, feiertags 10-19 Uhr. Katalog mit sechs Einzelheften für 32 Euro. Highlights im Rahmenprogramm sind die Autorenlesung mit Ralf König am 23. Mai und ein Konzert mit dem Bundesjugendorchester am 17. August. Weitere Infos bei www.bundeskunsthalle.de.

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